Mehr Wert ist dein Mehrwert

Premiere in der Leipziger Oper: „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ mit gespaltener Publikumsresonanz – bunt, fröhlich, unbequem

Fotos: Andreas Birkigt

Da hat sich die Opern wieder was einfallen lassen und holt sich Kurt Weill und Bertolt Brecht ins Haus. Heftig, weil hier wahre Gesellschaftskritik dem schick gemachten Premierenpublikum vorgesetzt wird. Da haben sich alle in ihre teuren Schuhe gezwängt, ihren Fliege gestriegelt, zur Opernpremiere soll schließlich Wohlstand demonstriert werden. Dann wird uns erklärt, dass es das Geld ist, das uns zu Tieren macht. Und das kommt von singenden Säufern und Prostituierten, ja, das ist gewagt. Auf jeden Fall unterhaltsam und spannend.

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny ist eine Oper von Kurt Weill, mit einem Libretto von Bertolt Brecht, uraufgeführt im Jahre 1930 in Leipzig. Mahagonny, das heißt „Netzestadt“, wird von Leokadja Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses in einer Wüste in Nordamerika gegründet. Dort soll den Männern, die mit Geld von der Küste kommen, mithilfe von Bars und Bordellen das Geld aus der Tasche gezogen werden.

Doch die Stadt rechnet sich nicht. Die Leute reisen nach kurzen Aufenthalten wieder ab, die Preise sinken. Und ein Taifun nähert sich der Stadt. Jim Mahoney ist mit seinen Freunden nach Mahagonny gereist, wo er sich auch in die Prostituierte Jenny verliebt hat. Er bewirbt überschwänglich ein neues Gebot für Mahagonny: „Du darfst!“ Der Taifun verschont die Stadt und ab jetzt ist alles anders. Es wird gegessen, getrunken und gezecht, die Geschäfte blühen auf und die Kassen klingeln. Jims Freund Jack stirbt elendig an Völlerei, Joe verliert im Boxkampf gegen Dreieinigkeitsmoses und stirbt. Jim hat sein gesamtes Geld auf seinen Freund gesetzt und ist nun pleite. Als er dennoch alle auf ein Bier einlädt und die Zeche nicht zahlen kann, lassen ihn Jenny und seine verbliebenen Freunde im Stich. Mit dem Mangel an Geld schwindet auch sein Wert. Jim kommt ins Gefängnis und soll wegen Armut hingerichtet werden. Jenny hat, wie zuvor ihren Körper, nun ihre Seele verkauft und verschreibt sich dem System.

Armut ist ein Verbrechen, kein Geld, kein Wert. Jim stirbt auf dem elektrischen Stuhl. Die Moral des Abends schlägt einem ins Gesicht, überdeutlich, schließlich, was erwartet man auch anderes von Brecht. Der Stoff ist eindeutig, die Inszenierung bunt und nicht nur unterhaltsam, nein, sie vermeidet auch den moralischen Zeigefinger. Regisseurin Kerstin Polanske tut das einzig Richtige und schickt einen mit einem vollen Kopf, Zweifeln an der Gesellschaft und vielen, vielen Gedanken nach Hause. Vorne kriechen die Darsteller nach geworfenem Geld auf dem Bühnenboden herum und wer zu sich ehrlich ist, weiß, würde jemand auf der Straße Geldscheine werfen, wir alle würden auf Knien dem Wert nachhetzen und daraus so etwas wie Genugtuung ziehen.

Ich weise es an diesem Punkt zurück, zu beschreiben, was sich szenisch abspielt, was mir daran gut oder nicht gut gefallen hat. Darum geht es hier nicht. Es geht um das Wagnis, mit niederen Gesellschaftsschichten die Reichen vorzuführen. Und das vor einem Premierenpublikum, das immense Preise zahlt, um sich eine feine Oper zu Gemüte zu führen. Buhrufe beim Schlussapplaus für die Regisseurin. Das hat sie nicht verdient. Der Stoff ist schwierig, und sie hat ihn farbenfroh, schlüssig und vorlagengetreu präsentiert. Ich werde mir diese Oper erneut ansehen. Und hier nicht erklären, was szenisch passiert. Ich sage nur: Ansehen. Es lohnt sich. Versprochen.

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

R: Kerstin Polanske

Mit: Karin Lovelius, Martin Petzold, Jürgen Kurth, Soula Parassidis, Stefan Vinke, Norman Reinhardt, Morgan Smith, Matthew Anchel, Dan Karlström und dem Chor der Oper Leipzig sowie dem Gewandhausorchester

Premiere: 28. April 2012, Oper Leipzig


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  1. Es ist auch sehr einfach, mit formalästhetischen Kriterien sozialkritische Implikationen als „schlecht inszeniert“ abzutun und somit den eigentlichen Gehalt in den Hintergrund zu rücken. Es geht bei einer Oper eben nicht um „schönes“ Absingen der Texte im gelungenen Bühnenbild und einer schmeichelhaften Inszenierung. Und es auch sehr kurz gedacht, ästhetische Codes, die zu Urteilen wie „oberflächlcihe und ungenaue Inszenierung“ führen, von sozioökonomischen Kriterien loszulösen. Dass verrät eher Blindheit für die eigene gesellschaftliche Position. Ebenso wie es von bildungsbürgerlichem Dünkel kündet, die Kartenpreise für Mario Barth als Beweis für die Dummheit des opernfernen Publikums zu zitieren (sie könnten es sich ja leisten, sind aber eh zu blöd, es zu verstehen – das ist ja die Argumentation). Dabei kündet es vielmehr von einer gewissen Stumpfsinnigkeit, die Schichtung von Gesellschaft zu leugnen und „Oper als Form“ als eine Option unter vielen zu verstehen und von der klassen- (ja, der böse Klassenbegriff darf verwendet werden) oder schichtspezifischen Kodierung dieses gesellschaftlichen Ortes völlig zu abstrahieren bzw. diese Kodierung zu verkennen.

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