„Narrow“-Tour: Soap&Skin verzaubert mit Ensemble das Leipziger Centraltheater
Im März 2009 war Anja Plaschg alias Soap&Skin das erste und letzte Mal im Leipziger Centraltheater. In der Zwischenzeit war es ruhiger um sie geworden. Der Tod des Vaters, die neuen Lebensumstände, die Nebenwirkungen des Ruhms. Erst Anfang diesen Jahres folgte mit Narrow das zweite Album nach dem 2009er Debut Lovetune for Vacuum. Und eine Tour, die sie wieder nach Leipzig brachte. Und so stand zum 2. Mai ein weiteres Soap&Skin-Konzert im Centraltheater an, garniert mit einem Streich-Quintett, einem Trompeter sowie einer weiteren Sängerin. Und kein Ort dieser Stadt hätte wohl besser gepasst. Denn großes Theater ist Soap & Skin wahrhaftig. Und das ist durchaus positiv gemeint.
Bereits in den ersten Minuten werden die beiden vorhanden Extrem-Pole des musikalischen Spektrums gegeneinander gestellt. Das Instrumental „Deathmental“ eröffnet die Show mit heftigen, komplexen Industrial-Beats. Dazu zucken die Lichter über die noch von Menschen leere Bühne, bis Anja Plaschg kurz in ihrem gesenkten Gang über selbige wandelt, nur um bald wieder zu verschwinden. Dann tauch sie wieder auf, um an ihrem Klavier und von der zweiten Sängerin begleitet, den an Schubert erinnernden „Cradlesong“ anzustimmen. Die Ruhe nach dem Sturm ist hier aber auch die Ruhe vor dem Sturm, und so schliesst sich mit „Big hands nails down“ gleich das nächste Donnerwetter beeindruckend an.
Diese Mischung aus sanften Klavierstücken und düsterer Beat-Gewalt bestimmt das Konzert. Kleinoden wie dem traurigen „Lost“ steht die wuchtige Theatralik von Stücken wie „Thanatos“ gegenüber. Das funktioniert wunderbar, was den gut eingespielten Musikern sowie der auch ohne große Taten allmächtigen Präsenz Plaschgs zu verdanken ist. Während bei den Konzerten vor drei Jahren das Publikum Berichten zufolge ein schnell zu verunsicherndes, 18-jähriges Mädchen vor sich hatte, welches zunehmend mit der Aufmerksamkeit und seinen Begleiterscheinungen zu kämpfen hatte, wirkt die vor kurzem 22 Jahre alt gewordene Österreicherin im Jahre 2012 professionell. Zwar sind die verhuschten „Vielen Dank“-Einschübe zwischen den Songs nur mit viel Wohlwollen zu vernehmen, aber der musikalische Auftritt macht klar, dass hier jemand weiß, was er tut. Und auch wenn vielleicht nicht jeder Ton exakt sitzt, ist es besonders die Kraft in Plaschgs Stimme, die am meisten überrascht.
Dies wird besonders deutlich, wenn sich die Songs in dramatische Ausbrüche hineinsteigern und Plaschgs Stimme mit der Klang-Apokalypse um sich herum kämpft. Zwei Songs steigen langsam hinab in solch eine Kakophonie aus Streichern und dem Hämmern auf dem Klavier. Bis zur Besinnungslosigkeit steigert sich das Chaos, nur um unvermittelt mit einem Schrei zu verstummen. Den größten physischen Auftritt hat Anja Plaschg dann in „Marche Funèbre“, einem dieser Math-Industrial-Stücke, welches sie mit einer Art Ausdruckstanz begeleitet. Dieser wirkt aber besonders aufgrund der rhythmischen Komplexitäts des Stückes sowie den kraftvollen, wie eine Art Dirigation der Lichtblitze wirkenden Bewegungen weder affektiert noch deplatziert.
Das auf Deutsch gesungene, für den verstorbenen Elternteil komponierte „Vater“ ist dann wie schon auf dem Album eines der Highlights. Sanft beginnend mit Zeilen wie „Im Schatten der Tage fällst du als Stille und Stich“, steigert sich Plaschg langsam in einen wunderbaren Nachruf voll der nur allzu verständlichen Theatralik. Wenn dann während der Zeilen „Um Alles in der Welt das dich am Leben hält, zerschlag ich auch mein Himmelszelt auf dass es unter dir zusammenfällt und du dich neigst und du dich endlich wieder zeigst“ die Streicher einsetzen und alle Trauer gen Himmel fährt, ist das einer der bewegendsten Momente des Konzerts.
Eine wichtige Rolle spielen auch immer wieder Cover. Das anfangs etwas irritierende, auf dem Album befindliche Desireless-Cover „Voyage, voyage“ wird natürlich gespielt. Aber immer wieder spielt sie bei Konzerten andere Neu-Interpretationen: So gibt es zur Zugabe das wunderbare „Pale Blue Eyes“ von Velvet Underground. Hier ist besonders die Wandlung des Songs interessant. So steht Anja Plaschg am Anfang des Songs wie ein Schulmädchen mit hängenden Schultern vor der Klasse am Mikrofon und trägt mit leicht wackeliger Stimme über spartanischem Playback den Song vor. Langsam, von Strophe zu Strophe, wird ihre Stimme fester, die musikalische Untermalung opulenter, so dass das Stück geradezu über sich hinauswächst und einen glückselig hinterlässt.
Das wirkliche Ende folgt aber erst mit dem anschließenden „The end“, natürlich von den Doors. Allein am Klavier und ebenso ausgewalzt wie das Original beendet das Stück das Konzert nach rund 90 Minuten. Leider wird während des Stückes dem Autor auch klar, dass das Warten auf „Wonder“ und „Boat turns towards the port“ wohl nicht belohnt wird. Angesichts des beeindruckenden Konzerts sei dies aber verziehen. Denn: So schüchtern und bescheiden sie als Person auch sein mag: Als Künstlerin liebt Anja Plaschg den großen Auftritt. Und hat sich diesen mehr als verdient.
Soap & Skin: Narrow-Tour
2. Mai 2012, Centraltheater
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