Den Abend auf Rollschuhen beendet

„Alles Glück dieser Erde liegt im Fleisch der Pferde“: Clemens Meyers „Stallgespräche #2“ im Centraltheater galoppiert, trabt und lahmt

Clemens Meyer (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Nachdem am 1. Mai die Leipziger Pferderennbahn zum alljährlichen Beginn der Rennsaison geladen hatte, widmet der Pferdemitbesitzer und Liebhaber des Einhuferrennsports Clemens Meyer seine zweite Ausgabe der Stallgespräche den edlen Tieren seiner Begierde.
Der Beginn ist poetisch furios. Ein Lesebeitrag aus dem Off lässt die Spiele beginnen. Der Autor selbst liest seinen Text vor, der eine wilde Aneinanderreihung von Zitaten verschiedenster Texte ist. Neben einem Gedicht (Kamerad Pferd) eines unbekannten Autors findet der kundige Hörer Bezüge zu dem Märchen Die Gänsemagd aus der Sammlung der Gebrüder Grimm und Anspielungen auf Döblins Alexanderplatz. Diese Komposition, deren Stilistik glänzt, bildet einen Höhepunkt dieses Abends. Der andere entwickelt sich im Verlauf der zweistündigen Darbietung. Die Malergruppe Hagel (Paule Hammer und Sebastian Goegel) bringt das Rennpferd Proust auf eine riesige Leinwand, das am 1. Mai gestürzt war und infolge eines Beinbruches eingeschläfert werden musste.

Das entstehende Bild zeigt das Pferd, wie es dem Publikum sein Hinterteil zuwendet und den Blick auf den Moderator richtet. Diese Fokussierung auf Clemens Meyer selbst und die damit verbundene Vernachlässigung des Publikums wird an manchen Stellen des Abends mehr als deutlich. Aber der Reihe nach.

Nachdem Mary aus Borna – eine Alleinunterhalterin mit Gitarre, deren englische Aussprache an manchen Stellen eklatante Mängel aufweist – ihren ersten Country-Hit gesungen hat, ergeht sich der Moderator in Unverständniserklärungen gegenüber der allgemeinen Abneigung gegenüber dem Reitsport. Als Gipfel der Polemik gibt es Pferdewürste für das Publikum.

Die Gäste, die sich Clemens Meyer diesmal eingeladen hat, sind der Pferdetrainer Peter Hirschberger und der Pferderennen-Kommentator Gunther Bart. Der Zoodirektor, der schon die Teilnahme an der ersten Sendung abgesagt hatte, ist auch diesmal nicht gekommen. „Simone Thomalla ihre Tochter“, so der Moderator, müsse der Zoo gezeigt werden. Für Clemens Meyer der Vorwand, Simone Thomalla, die der Grund für das Absagen des Zoodirektors bei der ersten Sendung war, und ihre Tochter einem Stutenvergleich zu unterziehen. Das Publikum verfolgt mit Amüsement die Präsentation von sehr freizügigen Bildern aus einer pornografischen Zeitung, die die Gesichter von Simone Thomalla und ihrer Tochter tragen. Ein Urteil, wer diesen Vergleich für sich entscheidet, vermeidet der Moderator.

Nach Beendigung dieses „Sudeldrecks“ holt Clemens Meyer Peter Hirschberger auf die Bühne. Man unterhält sich über die Pferdehaltung, das Pferdeleben und die Erfolge des Trainers, der in 50 Jahren 530 Siege seiner Pferde feiern konnte. Dem Fachsimpeln über die verschiedensten Pferdelegenden, mit den schönen Namen Nemo, Foliant, Winterkönig, Over the Sky, folgt man gern.

Das Gespräch mit dem sympathischen Gunther Bart läuft gegen Ende allerdings leider in die Irre des völligen Strukturverlustes. Der Livekommentar, den Bart zu einer Videopräsentation eines Pferderennens zum Besten gibt, kann man sich noch gefallen lassen. Das anschließende Live-Wetten auf Rennen in den USA und in England verkommt leider zu einem Privatvergnügen der beiden Pferdenarren. Mit Schiebermützen sitzen sie wie gebannt vor dem Monitor des von Clemens Meyer mehr als einmal verfluchten MacBooks und vergessen alles um sich herum. Das einige Besucher den Saal verlassen, kann man ihnen nicht verübeln. Die Erleichterung, die die „musikalischen Eskapaden“ von Mary aus Borna dem gelangweilten Publikum verschafft, wird von selbigen mit rhythmischem Klatschen goutiert, was die gute Dame allerdings dazu veranlasst, über das vom Moderator doch noch gefundene Ende des Abends hinaus zwei Lieder ihres Repertoires zu singen.

Die Idee, die sich ohne Frage hinter dem Format erkennen lässt, ist interessant und verspricht viel. Was ihr fehlt ist Organisation – technisch, wie auch dramaturgisch. Finden die Verantwortlichen hier keine Lösung, läuft dieses Format als geschlossene Form schnell Gefahr an seine Grenzen zu stoßen. Für eine reine Performance muss man als Besucher nicht zwei Stunden im Theater sitzen. Das Publikum will mitgenommen und abgeholt werden. Die kompositorische Meisterschaft des Textbeitrags am Anfang dieses über weite Strecken amüsanten Abends, wünscht man sich bei der gesamten Darbietung am Werk zu sehen.

Die nächste Ausgabe im Juli steht unter dem Motto Als wir kochten und findet als Open-Air-Veranstaltung auf dem Gelände des Centraltheaters statt. Man darf gespannt sein, wohin die Reise geht und ob die fehlenden Zutaten dem Rezept beigefügt werden, um ein harmonisches Gericht auftischen zu können.

Clemens Meyer: Stallgespräche #2 – Alles Glück dieser Erde liegt im Fleisch der Pferde

Premiere: 11. Mai 2012, Centraltheater

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