Neues aus Raum und Zeit

Iris Touliatou mit eigener Schau in der Galerie für Zeitgenössische Kunst

Iris Touliatou, New Theaters for Old, 2012, Collage, courtesy of the artist

Ein Video, acht Minuten lang, in ständigem Loop, zeigt im Close-Up die Hände eines Mannes, in denen er eine Münze hin und her wandern, verschwinden und wieder auftauchen lässt. Der Kurzfilm Quotable Gesture formuliert das allübergreifende Motiv der Einzelausstellung Matter Enclosed in Heavy Brackets von Iris Touliatou: Dem Offensichtlichen allein darf man nicht trauen.

Eigens für die Leipziger Schau entwarf die Künstlerin neue Arbeiten, vor allem Collagen und Skulpturen. Durchlässigkeit, geometrische Formen und klare Linien bestimmen den Gesamteindruck einer sich in allen Bildträgern widerspiegelnden Formensprache. Grundlage der Ausstellungskonzeption waren für die in Athen geborene und in Paris und Berlin lebende Künstlerin Geschehnisse um das im fiktiven Steeltown angesiedelte Musical/Theaterstück The Craddle Will Rock unter der Regie Orson Welles´. Die Premiere zu Zeiten der Großen Depression wurde von der U.S.-Regierung aufgrund des kritischen Potentials kurzfristig abgesagt, Requisiten und Bühnenbild beschlagnahmt. Das Ensemble zog samt Publikum vom Broadway in ein anderes Theater und Orson Welles verlagerte die Bühnenhandlung in den Zuschauerraum. Immer wieder finden sich in den Arbeiten Verweise auf diese Begebenheiten, die Künstlerin zieht Parallelen und knüpft Verbindungen. Für die Collagen New Theaters for Old hat Touliatou Schwarz-Weiß-Fotografien modernistischer, leerer Zuschauerräume im Stile von Gordon Matta-Clarks Cuttings zerschnitten. Unter diesen Cuts treten Farbfotos antiker, griechischer Theater zutage, die Übergänge wirken fließend. Auch Mr Mister and Mrs Mister arbeitet mit diesem Wechselspiel. Aufnahmen moderner Architektur wurden über ältere Fotographien von Schauspielern montiert, eine Augenbraue schwingt als Theaterempore aus, ein Nasenrücken wird zur Steinkante. Umso klarer sich derartige Bestandteile der einzelnen Werke dem Betrachter erschließen, desto wesentlicher treten die Verbindungen zwischen den Arbeiten hervor. Form und Inhalt gehen supplementär ineinander über, die Trennlinien verschwimmen. Klarheiten verlieren sich und tauchen an unvermuteter Stelle wieder auf, wie die Münze in den Händen des Magiers. Alle Werke scheinen wie untrennbare Teile einer großen Aufführung, in die man gestolpert ist. Eine Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne gibt es dabei auch hier nicht. The Cities where he worked are no longer there, ein aus Stahlstangen zusammengesetzter Paravent, bietet weder Sichtschutz, noch trennt er den Raum. Die geometrischen Formen auf den einzelnen Flügeln der Skulptur, die sich auch auf anderen Werken fortsetzen, erinnern an großzügige, impraktikable Grundrisse, leere Hochhaushüllen. Orson Welles´ Steeltown, die Stadt, die es nie gab. Simultan greift die Gestaltung die Architektur des Museums auf, wird raumgreifend im wahrsten Sinne. Der Ausstellungsort ist Teil der Konzeption, auch in dem schmalen Gang zwischen der zur Straße gerichteten Fensterfassade und der grauen Betonwand. Hier verzeichnet der Lageplan die Arbeit Two Silver Coins, Turn to Silent. Zu sehen ist zunächst nichts, bis man nach einigem Suchen zwei am Boden festgeklebte Münzen entdeckt, deren Prägung nicht mehr erkennbar ist. Natürlich bückt man sich zu ihnen herunter. Auf der hellsten Bühne, die das Haus zu bieten hat, befolgt man Regieanweisungen, die es explizit gar nicht gibt. An anderer Stelle hängt ein Rahmen mit gesprungener Glasscheibe, der nirgends vermerkt ist. Der Besucher wird zur Figur in dem mit Verweisen und Fallstricken gespickten Stück, das Register der Werke zu einem Script, an das man sich nicht halten kann. Dass er wohl einem geplanten Ablauf folgt, wird für den Akteur erst sichtbar, als er seine Rolle schon zu Ende gespielt hat.

Iris Touliatou, Abbildung aus dem Buch ‚The Future of Architecture‘, Horizon Press, 1953, S.17, Fotograf: P. E. Guerrero

Irritation ist allgegenwärtig, Vermutungen werden generiert und widerlegt, narrative und formelle Ebenen zu einer Schau der Schwebezustände und Zwischenwelten verwoben. Seien es die Schnitte während des Films, die Collagen mit den Cuttings oder die Stahlstangen mit abgesägten Enden um die schwarze Büste herum, der mit einem sauberen Hieb Teile der Stirn, die Nase und der Mund abgesäbelt wurden – Materie verstummt oder verschwindet, befindet sich in einem ungekannten Raum zwischen Abwesenheit und Präsenz. The Cement is just for Weight, Dear lautet bezeichnenderweise der Titel einer Arbeit. Es würde der Ausstellung zweifellos nicht gerecht werden, sie lediglich vor aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen lesen zu wollen. Der Fokus verschiebt sich, sobald man ihn zu erfassen meint, das Arrangement der nur scheinbar manifesten Trennlinien führt zu neuen Bündnissen. Die große Präzision und Leichtigkeit, die Nicht-, Nicht-mehr-, oder Nie-Orte und allem voran die selten so wunderbar subtil erlebte Einbeziehung des Besuchers weisen weit über einzelne Kontexte hinaus und emanzipieren sich so von der Ausgangskonzeption.

Iris Touliatou:

Matter Enclosed in Heavy Brackets

kuratiert von Ilina Koralova in Zusammenarbeit mit Katalin Erdödi

21. April bis 24. Juni 2012, Galerie für Zeitgenössische Kunst


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