Von der Kunst, Ernst zu sein

Das Regieteam Köhler und Börngen bringt eine Verwechslungskomödie von Oscar Wilde auf die Bühne

Fotos: Lisa Marie Hobusch

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen und so mancher mag ob des vielen Regens aus dem Fluchen gar nicht mehr rausgekommen sein. Umso mehr freut man sich dann schließlich, wenn die Sonne endlich wieder scheint. Denn Sommerzeit heißt auch: Zeit für Sommertheater! Und so veranstalten die Cammerspiele wie jedes Jahr ihr Freilufttheater. Dieses Jahr allerdings steht das Theater unter keinem guten Licht. Aufgrund der finanziellen Probleme des Hauses (siehe Interview mit Jan-Henning Koch) könnte das Sommertheater die letzte Inszenierung sein. Die Zukunft der Cammerspiele jedenfalls ist noch immer unklar.

Umso erfreulicher ist der extreme Andrang, der sich zur Premiere abzeichnet. Bei der Auswahl des Stückes haben die Regisseure Christopher Köhler und Sebastian Börngen anscheinend genau den Nerv der Zuschauer getroffen: Mit Oscar Wildes Komödie Bunbury oder Ernst sein ist alles erwartet sie ein Sommertheater, wie es sein sollte. Die fröhliche Verwechslungsgeschichte mit viel Witz und trotzdem so mancher Kritik eignet sich, wie sich herausstellt, perfekt für einen sommerlichen Theaterabend. Und so drängen immer mehr Leute auf das Gelände des Galerie KUB, auf welchem die Inszenierung stattfinden soll, um gemeinsam einen abwechslungsreichen Abend zu erleben.

England, ausgehendes 19. Jahrhundert: Die Dandys und guten Freunde Algernon und Jack leben ein lockeres Leben mit viel Geld, Champagner und guter Gesellschaft. Doch manchmal drängt es beide weg vom feinen Leben. Dann wollen sie sich austoben und nicht mit den reichen Verwandten die Abende verbringen. Also entwickeln sie beide eine Strategie, um sich zumindest hin und wieder herauswinden zu können aus ihren sozialen Verpflichtungen. Algernon, der in London lebt, erfindet einen totkranken Onkel namens Bunbury, um den es angeblich immer gerade dann schlecht steht, wenn wieder eine Feier seiner Tante ansteht. Jack hingegen hat familiäre Verpflichtungen auf dem Land, befreit sich aber zeitweise von diesen, indem er einen draufgängerischen Bruder Ernst erfindet. Als Jack, der sich in London als Ernst ausgibt, sich dann in Algernons Cousine Gwendolen verliebt, nimmt die Verstrickung und Verzettelung ihren Lauf. Denn Gwendolens Absicht war es schon immer, so sagt sie, einen Mann mit dem Namen Ernst zu heiraten. Somit nimmt sie Jack die Möglichkeit, aus seiner Lüge wieder herauszukommen.

Dieser, eben beschriebene, erste Teil der Inszenierung wurde unter der Regie von Christopher Köhler entwickelt, welcher in den Cammerspielen bereits mehrere Stücke auf die Bühne gebracht hat. Den zweiten Teil des Abends übernimmt Sebastian Börngen, ebenfalls kein hier unbekannter Regisseur. Die Teile sind durch einen ganz unterschiedlichen Stil gekennzeichnet, machen die Inszenierung aber gerade deshalb zu einem besonders sehenswerten Stück. Die beiden Regisseure haben gezeigt, dass man mit sehr unterschiedlichen Handschriften dennoch ein konsistentes Stück auf die Bühne bringen kann, welchem es an nichts fehlt.

Und auch die Schauspieler erbringen an diesem Abend eine große Leistung. Jeder der acht Darstellerinnen und Darsteller spielt mit einer Freude und Hingabe, die man so nicht alle Tage sieht. So zaubert Andy Scholz voller Inbrunst und mit leichter Hand den Dandy Algernon auf die Bühne und man nimmt ihm die Rolle sofort ab. Zur zweiten Hälfte des Stückes wechseln dann alle Schauspieler ihre Rollen, was für den Zuschauer anfänglich verwirrend sein mag. Aber daran gewöhnt man sich doch recht schnell und kann dann die rasche Wandlung der Charaktere bewundern. Spielt Madeleine Brandt eben noch die strenge Lady Bracknell, Algernons Tante, so wird sie im zweiten Teil plötzlich zu der äußerst kindlichen und naiven Cecily. Der Wechsel der Rollen, der dem Wechsel des Regisseurs entspricht, bringt nach der Pause eine neue Dynamik in das Stück und zeigt gleichsam, dass hier nun mit andere Hand an den Wilde-Stoff gegangen wurde.

Im zweiten Teil geht trotz stilistischer Änderungen (es wird nun beispielsweise sehr viel gesungen, alles wirkt wie in einem Broadway-Musical) die Verstrickung in den Lügen weiter. Algernon reist ohne Jacks Wissen zu Jack aufs Land und gibt sich als sein Bruder Ernst aus. Dort verliebt sich dann Cecily in ihn. Und auch sie ist äußerst angezogen von dem Namen Ernst. Jack, der inzwischen zurückgekehrt ist, hat allerdings eine Urne mit der vermeintlichen Asche des imaginären Bruders Ernst dabei, denn er hat beschlossen, die Lüge zu begraben. Als dann auch noch Gwendolen und Algernons Tante hinterher reisen, gerät alles aus den Fugen. Bühnenbildnerisch bedarf es dabei in beiden Teilen nicht sonderlich viel. Bis auf einen Lamettavorhang und einen Stuhl ist die Bühne im ersten Teil meist leer, im zweiten Teil kommt noch ein Sofa hinzu. Alles, was für das Stück notwendig ist, wird durch das Spiel der Darsteller geboten.

Die Idee, ihr Sommertheater einmal mehr durch verschiedene Regisseure inszenieren zu lassen, passt sehr gut zum künstlerischen Konzept der Cammerspiele. Und es bedeutet auch für den Zuschauer einen Gewinn durch den Abwechslungsreichtum und die Vielfalt der stilistischen Mittel. Man mag vielleicht dazu neigen, beide Teile gegeneinander abzuwägen. Doch viel besser ist es noch, beide vollwertig zu sehen, mehr oder weniger unabhängig voneinander. Auf jeden Fall haben die Cammerspiele wieder einmal gezeigt, wie wichtig sie für die Leipziger Theaterszene sind. Bleibt nur zu hoffen, dass das Haus uns doch länger erhalten bleibt als bisher gedacht.

Bunbury oder Ernst sein ist alles

R: Christopher Köhler, Sebastian Börngen

Mit: Madeleine Brandt, Tala Al-Deen, Enrico Engelhardt, Tim Josefski, Kim Engelhardt, Karla Müller, Julia Pohl, Andy Scholz

Premiere: 20. Juli 2012, Galerie KUB


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