Geschichte oder Geschichten

„This ain’t California“, der Film über Skater in der DDR, ist grandios. Fraglich ist nur, warum er das ist und ob er das Lob verdient hat

Es gab sie wirklich: die Skater-Szene in der DDR (Fotos: Harald Schmitt)

Als Ende der 1950er junge Kalifornier begannen, Rollen unter Bretter zu nageln, um die Zeiten zu überbrücken, in denen sie mangels Wind nicht surfen konnten, taten sie das trotz der Unfallgefahren und aus Spaß am Fahren. Die Spielzeugindustrie roch den Braten und so kam 1959 das erste kommerzielle Skateboard auf den US-Markt. Diese Modelle waren kaum sicherer als die selbstgebauten. Deshalb und wegen der mit dem Fahren verbundenen Lärmbelästigung wurden alsbald Verbote verhängt, die das Skateboard-Fahren komplett aus dem öffentlichen Raum verbannen sollten. Tatsächlich empörte man sich Ende der 1970er, als die nächste Popularitätswelle durchs Land schwappte: Skaten „appears to serve no known purpose in life and does nothing to raise national productivity.“ (Skaten scheint kein Ziel zu haben und trägt nichts dazu bei, die Produktivität des Landes zu erhöhen.) Den wenigen, die dem Freizeitsport außerhalb der Popularitätswellen die Stange hielten, haftete lange Zeit das Image der kompromisslosen Rebellen an, die auf Regeln und Konventionen verzichten können und einfach ihr Ding machen, und auch die Protagonisten selbst sprachen und sprechen fortgesetzt davon, dass sie Skaten mit Freiheit verbinden.

Rebellen gab es auch in der DDR, Leute, die sich Nischen suchten und dort so frei lebten, wie es die Grenzen ihrer Welt möglich machten. In den 1980ern, in einer Zeit, in der sich das Skateboard international längst vom Surfbrett emanzipiert hatte, stand es auch dort für Freiheit auf dem Beton. This ain’t California zeigt die DDR-Skaterszene und hat dafür bereits viel Lob sowie mehrere Preise eingeheimst. Der Film vermittelt ein Gefühl von schon fast anarchischer Unabhängigkeit in einem Staat, in dem es zum Anderssein nicht viel brauchte, nur die Sturheit und den Mut, das durchzuziehen. Skateboardfahren galt als individualistisch, weil es außerhalb der offiziellen sportlichen Erziehung stattfand und wurde nicht als dafür geeignet angesehen, sozialistische Persönlichkeiten hervorzubringen.

Dies zumindest ist es, was im Film über das Skaten in der DDR berichtet wird. Im Mittelpunkt steht Denis Paracek, genannt Panik, der in den 1980ern wohl den Kopf der Skater-Szene am Berliner Alexanderplatz bildete, und dessen Beerdigung 2011 der Anlass ist, dass die Clique von damals wieder zusammenkommt. Man trifft sich auf dem Gelände einer verlassenen Wäscherei und erinnert sich an früher. Da ein Film nicht allein davon lebt, dass Leute zusammenhocken und erzählen, ist es großartig, dass es Super-8-Material gibt, das Denis und seine beiden Kumpels schon als Jungs beim Skateboardfahren durch die Platte von Magdeburg-Olvenstedt zeigt und weiteres Material mit dem Freundeskreis in Berlin, 1988 bei der Euroskate in Prag und 1989 beim ost-westdeutschen Cup. Der Film mixt die Erinnerungsszenen von heute mit alten Privat- sowie mit historischen Aufnahmen und mit Zeichentrick-Sequenzen, heraus kommt ein dynamisches und ausgewogenes Gesamtbild aus guten Schnitten und überlegter Musikauswahl, das man gerne als großartig bezeichnen möchte.

Auf dem Berliner Alexanderplatz trafen sich damals die Rebellen auf Rollen

Dass es im Film nachgestellte Szenen gibt, wurde nie verheimlicht. Um welche es sich dabei handelt, ist dagegen nicht zu erfahren, auch nicht, welchen Anteil sie am gesamten Filmmaterial haben. Ziemlich schnell nach dem diesjährigen Berlinale-Erfolg kamen Gerüchte auf, dass ein bisschen mehr nachgestellt wurde, als redlich gewesen wäre, um noch von einem dokumentarischen Film reden zu können. Solchen Vorwürfen kommen Regisseur Marten Persiel wie Produzent Michael zuvor, indem sie lieber gleich von „dokumentarischer Erzählung“ sprechen. So sitzt man ein wenig rätselratend im Kino und denkt sich etwa angesichts der eher hölzernen Episoden in der Wäscherei, dass sich hier wohl kaum Freunde von früher treffen, sondern dass Schauspieler auswendig gelernten Text vortragen. Wenn dies die einzigen nachgestellten Szenen wären, dann wäre das vielleicht zu verschmerzen, auch wenn sie durch nichts als solche gekennzeichnet sind.

Panik, dem hellblonden Jungen, der auf wackligen Schwarz-Weiß-Bildern dabei zu sehen ist, wie er auf dem Rollbrett durch Ost-Berlin gurkt und über Dreitakter-Wartburgs einfach drübersegelt, nimmt man die Rolle des Führers in einer Clique ab. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Denis oder Panik, sondern um Kai Hillebrand, einen jungen Schauspieler (und Skateboarder). Susanne Burg berichtet beim Deutschlandradio Kultur davon, dass sie Kai Hillebrand in einem anderen Film gesehen hat und so darauf kam, dass es Panik im vermeintlichen Archivmaterial gar nicht gibt. Ob er existiert hat, ist nicht zu erfahren. „Diesen Typen gab es. Fast alle Ost-Skater erinnern sich an ihn und konnten irgendetwas über ihn berichten“, zitiert der Tagesspiegel Persiel am 31. Juli. Eine definite Aussage, die sich mit der Intensität der Darstellung von Panik im Film decken würde, klingt anders.

In einem Škoda-Forum taucht unter der Überschrift „Ostautos für Filmdrehs gesucht!“ die Anfrage vom PictureCar Coordinator der Produktionsfirma, Denny Hahnfeldt, nach Fahrzeugen aus verschiedenen Mindestbaujahren auf, genannt wird, an welchem Tag Anfang August letzten Jahres man in welcher Stadt welches Jahr nachdreht. So benötigte man am dritten August vier Fahrzeuge in Frankfurt/Oder, es ging um das Jahr 1983, an anderen Tagen drehte man in Eisenhüttenstadt und Berlin-Lichtenberg. Man ahnt, wo sich ostige Platte und wo sich ostiger Altbau finden lassen, der Rest des Ausflugs in die 80er obliegt PictureCar Coordinator und Kostümbild.

Wenn der Status und gar die Existenz des Protagonisten unklar sind, dann zieht das weitere Fragen nach sich, zum Beispiel die, warum Panik Start und roten Faden der Erzählung bildet. Letztlich steht aber (fast) alles infrage, was der Film abzubilden behauptet. Alles andere verschwindet im Nebel. Dass in der DDR Skateboard gefahren wurde, ist unstrittig (vornehmlich in unangenehmen heterosexuellen Macho-Cliquen – an der Stelle ist dem Film sicher nicht zu viel Fantasie vorzuwerfen). Der VEB Schokoladen-Verarbeitungsmaschinen Wernigerode produzierte 1986 das Rollbrett namens Germina Speeder und die Heimwerkerzeitschrift practic gab im folgenden Jahr Empfehlungen zum sicheren Selbstbau, der gleichzeitig den Ansprüchen an ein Skateboard gerecht wird. Fraglich ist dennoch, ob es überhaupt eine Skateboard-Szene gab, ob die Skater aus Ost und West befreundet waren, ob sie 1988 zusammen nach Prag gefahren sind, fraglich ist letztlich alles, was im Film erscheint – abgesehen vielleicht von Alex und Fernsehturm. Auf der Metaebene stellt sich die Frage, wie eine „dokumentarische Erzählung“, die mutmaßlich eher fantastisch als dokumentarisch ist, den Anspruch erheben kann, ein Lebensgefühl eingefangen zu haben.

Gegen Nachdrehs ist nichts einzuwenden, zumal dann, wenn das Archivmaterial fehlt, um den Zuschauer in eine authentische Atmosphäre hineinzuziehen. Wenn die dokumentarische Erzählung aber nicht klar macht, wo die Dokumentation aufhört und die Erfindung beginnt, kann von authentischer Atmosphäre genauso wenig die Rede sein wie der Film das Attribut dokumentarisch verdient hat. Man muss sich auf die Geschichte verlassen können, um sich auf einen Film einzulassen zu können, egal ob sie in dokumentarischem oder fiktivem Rahmen präsentiert wird. Wenn Filme lediglich dazu da sind, dass man über ihre Ästhetik spricht, über Schnitte, Licht und Musik, dann muss auch kein Produzent, kein Regisseur behaupten, die Geschichte einer Freundschaft und noch dazu die des Skatens zu erzählen. Wer dies dennoch tut, um dann zerknirscht zuzugeben, dass es sich vielleicht nicht genau so zugetragen hat, verarscht das Publikum mit einer glatten, aber fantastischen Geschichte, an deren Wirklichkeit es nur zu gerne glauben möchte.

This Ain’t California

Deutschland 2012, 90 Minuten

Regie: Marten Persiel

Drehbuch: Marten Persiel, Ira Wedel

Mitwirkende: Christian Rothenhagen, Mirko Mielke, Torsten Schubert, René Falk Thomasius, Titus Dittmann, Patric Steffens

Kinostart: August 2012

Trailer auf Youtube

Ein Kommentar anzeigen

  1. ….(vornehmlich in unangenehmen heterosexuellen Macho-Cliquen – an der Stelle ist dem Film sicher nicht zu viel Fantasie vorzuwerfen)…

    Franziska ,

    es gab nur eine Clique am Alexanderplatz.Und wir waren mit Sicherheit das Gegenteil von sogenannten „Machos“.Was sich damals für Machos hielt kam als Punk oder Neonazi am Alex vorbei um uns Skatern „die Fresse“ zu polieren.Man merkt aber an deiner Bemerkung das du nicht ganz verstanden hast was der Film im Kern aussagt.Nämlich das man sich Freiheit als Mensch in jedem System nehmen kann wenn man sich dann nur traut.Darauf aber gehts Du mit keinem Wort ein.Das ist die Kernaussage des Filmes und diese Kernaussage ist so offensichtlich das Ich Dir rate den Beruf zu wechseln und zwar wegen völliger BLINDHEIT ! 😉 mfg Renè Falk Thomasius

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