Ehe mit Rissen und Spannungen

Kirchhoffs „Die Liebe in groben Zügen“ erzählt zu detailreich von den verschiedenen Liebesgeschichten nicht mehr ganz junger Eheleute

„Bodo Kirchhoff, geboren 1948 lebt in Frankfurt am Main und am Gardasee, wo er mit seiner Frau im Sommer Schreibkurse gibt.“ Was suggerieren uns diese Zeilen im Klappentext von Die Liebe in groben Zügen? Erfolgreicher Schriftsteller, der es sich leistet in Frankfurt am Main und am Gardasee zu leben, der mit seiner Frau wahrscheinlich schon lange zusammen ist und mit ihr sogar noch zusammen arbeitet. Ein seltenes Bild in der heutigen Welt der Singles und Dinks (double income no kids). Die Ehe, ein romantisches Bild mit Rissen und Spannungen, die es auszuhalten gilt, ja, die es letztendlich doch spannend machen, sich auf eine dauerhafte Beziehung einzulassen – so lautet die Botschaft nach fast 700 Seiten.

Zwei Liebesgeschichten, eine frühkindliche Missbrauchsgeschichte und die Legenden um Franz von Assisi sind nötig, um die Ehe von Renz und Vila zu retten. Viel Autobiografisches darf man vermuten. Renz und Vila leben in Frankfurt am Main und am Gardasee. Die erwachsene Tochter ist längst aus dem Haus. Renz, Anfang sechzig und Drehbuchautor, hofft immer noch auf das erste ernsthafte Drehbuch nach einem ganzen Leben für Vorabendserien. Vilas Karriere im Mitternachtsfernsehen als Vermittlerin von etwas Substanz im bunten Brei der Medienwelt ist am Zenit angelangt, auch ihre Ausstrahlung und Attraktivität als Frau lassen nach; es ist schmerzhaft, wenn Praktikanten im Sender die Tür aufhalten und nur noch höflich „Guten Tag“ wünschen. In dieser Agonie des Altwerdens, des Abschieds von Idealen, taucht Bühl auf, der Gymnasiallehrer mit Schwerpunkt Latein. Ein von kindlichen Missbrauchserfahrungen verklemmter deutscher Bildungsnarr, der nach dem plötzlichen Unfalltod der Eltern aussteigt, um die Geschichte von Franz von Assisi zu erforschen und damit einen Roman zu füllen. Bühl und Vila, das ist die eine Liebesgeschichte. Die andere besteht zwischen Renz und Marlies. Über das Berufliche geraten Renz und Marlies zusammen, für Renz der übliche Weg, um sich für Stunden und Tage aus der Ehe zu stehlen. Aber auch Vila reicht das immer Gleiche der Ehe nicht aus, Fotografen und Visagisten, manchmal auch der männliche Teil eines befreundeten Paares sind die Partner der Ausbruchsversuche. Auffallend hier, wie auch im gesamten Roman, der männliche Blick des Erzählers. Warum werden Renz’ Affären nur sachlich rapportiert, aber die Abenteuer Vilas detailreich geschildert, seien es ein hilfloses Aneinanderabarbeiten in einer nächtlichen Praxis oder der Seitensprung aus Trotz mit dem öden alten Produktionsleiter? Ja, der Blick des Romans mit seinem sachlichen Beobachten ist stets sehr männlich und das kann auch zu weit gehen, nämlich dann, wenn Phantasien allzu intellektuell konstruiert werden, etwa die Liebesszene zwischen Bühl und Vila. Sie in dem (vom Autor) aufgeschrieben Verlangen nach analem Sex, was Bühl – kindliches Missbrauchsopfer – nicht erfüllen kann. An solchen Stellen krankt der Roman gleichwohl an den detailreichen Schilderungen des Alltags. Das umfasst etwa die Beschreibungen, wo und wann Renz und Vila ihr Weinglas leeren, absetzen oder einfach stehen lassen, wie viel das Ausdrucken einer Mail in einem billigen italienischen Hotel kostet und immer wieder das Wetter, die Sicht- und Temperaturstimmungen am Gardasee. Es wäre schön, man könnte Die Liebe in groben Zügen von solchen Allgemeinplätzen entschlacken und auf sagen wir 300 Seiten eindampfen.

Die endlosen Schilderungen des Lebens der Frankfurter Schickeria mit ihren Häusern sonst wo auf der Welt, mit ihren Jaguars und teuren Grappas sollte Kirchhoff doch lieber Martin Suter überlassen, da gehört es hin. Kirchhoff gelingt es ja viele Seiten lang feinsinnig, die Ambivalenzen einer langjährigen Ehe zu skizzieren und ihm gelingt es, Sympathien für ein altes Paar zu wecken, das über das Altwerden und den Schmerz um den Verlust von jugendlicher Spontaneität auch nach schwierigen Phasen wieder zusammenfindet. Es ist die gelebte Erkenntnis, dass sich auch eine Liebe mit der Zeit verwandelt und dass es keinen Sinn macht, ewig der Liebe mit 20 hinterherzulaufen. Diese schöne Botschaft sollte man nach dem Roman mitnehmen.

Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen

Frankfurter Verlagsanstalt

Frankfurt/M. 2012

670 S. – 28 Euro


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