Grandiose Klänge an Salzburgs ungewöhnlichstem Spielort

Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ unter dem genialen Dirigat von Ingo Metzmacher

Fotos: Ruth Walz

Da hätte man schon einmal eher drauf kommen können: Die Bühne der Felsenreitschule, ein 40 Meter breiter und gefühlt ebenso hoher Raum in den Fels des Mönchsberg geschlagen, ist der ideale Aufführungsort für Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten. Wo hat man schon die Freiheit, neben einem riesigen Orchester noch seitlich ein erweitertes Elektra-Orchester anzuordnen, eine Unzahl von Schlagzeugen, Gitarre, zwei Harfen, Celesta, Cembalo und eine Orgel. Zudem verlangt die Partitur eine kleine Jazz Combo für den feuchtfröhlichen Teil des Plots. Das gleichnamige Schauspiel von Michael Reinhold Lenz handelt von der Bürgertochter Marie, die sich in amourösen Abenteuern mit dem adligen Soldaten Desportes um Stand und Ansehen bringt, von Desportes fallengelassen als sogenannte Soldatenhure später als Bettlerin endet.

Wo man für Opernaufführungen von Stockhausens Licht-Zyklus oder Terterians Das Beben ganze Opernhäuser umbauen musste, fallen Ingo Metzmacher und Alvis Hermanis die Potentiale Salzburgs ungewöhnlichsten Spielortes einfach so in den Schoß. Und die beiden Maximo Leader dieses gigantischen Spektakels, Zimmermanns Soldaten gelten nach der Uraufführung 1965 in Köln immer noch als die Herausforderung des modernen Musiktheaters, bauen die Möglichkeiten der Felsenreitschule nur allzu gern in ihre Vorstellungen der Soldaten ein.

Metzmacher positioniert das erweiterte Orchester auf Seitenemporen, zur Bewältigung dieses Klangapparates, auf der Bühne stehen ja noch acht Tenöre und drei Soprane – insgesamt sechzehn Solisten und dreizehn Sprecherpartien –, hat er einen Kodirigenten engagiert. Michael Zlabinger ist für Bühnenmusik und die Einsätze der Solisten verantwortlich, ein Monitor überträgt ihm Metzmachers Aktionen, so dass er konzentriert die Einsätze geben kann und beide Dirigenten das komplexe Klanggeschehen grandios im Griff haben.

Für Alvis Hermanis, der für seinen Hyperrealismus bekannte lettische Regisseur, ist die Konstellation Felsenreitschule und Soldaten die Steilvorlage. Er verlegt die Oper in die Zeit des Ersten Weltkrieges, als die Soldaten noch mit Pferden unterwegs waren. Sieben Kaltblüter hat er auf die Bühne geholt, sie werden während der gesamten Oper herumgeführt, gesattelt, gezäumt und geputzt. Auf jeder konventionellen Opernbühne wäre das zu viel gewesen, in der historischen Reitschule funktioniert das. Und Hermanis zieht seinen Hyperrealismus nun konsequent durch. Marie, die naive Kindfrau, hat noch ihren Teddy mit im Bett. Ihr Verlobter Stolzius, nicht weniger naiv, schlägt vor Aufregung kindliche Purzelbäume, wenn er mit seine Mutter über Marie spricht. Bei den Soldaten zeichnet der Regisseur das denkbar schwärzeste Bild: Schmutzig und aus allen Poren stinkend nimmt die Horde jede Gelegenheit zur Lustbefriedigung wahr. Da Frauen rar sind, wird beim Anblick jedes weiblichen Wesens manisch onaniert. Hier wird’s zu viel der guten Regieabsichten und die vielen Projektionen von nackten Damen Anfang des 20. Jahrhundert hat der Stoff nicht wirklich nötig. Oder auch: Weshalb muss ein Marie-Double in schwindelerregender Höhe auf einem Drahtseil tanzen?

Wo liegt das Primat bei der Inszenierung oder bei der Musik? Diese ewige Frage wird bei der Salzburger Aufführung aber einfach überflüssig, weil der musikalische Ausdruck, den Ingo Metzmacher aus der Partitur generiert, einfach so atemberaubend ist, dass keine Regie dieser Welt daran rütteln könnte. Metzmacher gestaltet einen brillanten Klang, der es dem Ensemble immer ermöglicht, die eigene Stimme gestaltend in den Kosmos der Partitur einzubringen. Laura Aikin formt die Marie in einer wunderbaren Dramaturgie: Anfangs die naive Kindfrau, färbt sich in ihre Stimme die Verzweiflung, der zur Hure verdammten Frau. Ebenso Tomasz Konieczny: Aus dem naiven Verlobten Stolzius verwandelt er sich stimmlich zu dem entschlossen Rächer seiner Verlobten. Herrlich, wie er dabei die Stufen zwischen Angst und Entschlossenheit bis zum Mord an Desportes moduliert. Stimmlicher Höhepunkt ist das Terzett zwischen Marie, ihrer Schwester Charlotte, Tanja Ariane Baumgartner, und der Gräfin de la Roche, Gabriela Benackova: Letztere schmettert das „Ach ihr Wünsche junger Jahre“ spitz und scharf mit einer physischer Leidenschaft ins Publikum – das hätte auch das Ende der Oper sein können.

Doch erst beginnt der vierte Akt, eine gewaltige Simultanszene, nahezu alle Solisten singen oder rufen gleichzeitig, das Orchester dröhnt unheilfroh zur Kernfrage der Oper „Warum müssen die zittern, die Unrecht leiden? Warum dürfen die fröhlich sein, die Unrecht tun?“ Wie schafft es Ingo Metzmacher, dass in diesem musikalischen Chaos, lauter kann man sich Musiktheater nicht vorstellen, noch eine Grundstruktur, ein vorwärtsschreitendes Pochen hörbar wird. Grandios dieser Sturm der Klänge! Hier konnte man spüren, was Bernd Alois Zimmermann mit seinem simultanen Musiktheater gemeint haben könnte. Das ist sie dann doch die Botschaft – das Primat hat die Musik. Da kann es auch nicht mehr stören, dass Alvis Hermanis am Schluss in die Partitur eingegriffen hat. Nicht mit den marschierenden Soldaten endet die Aufführung, sondern mit der sich im Bühnenhimmel urschreiartig gebärdenden Marie. Diese Bilder sind vergänglich und austauschbar, aber der musikalische Schluss des Abends, die sich steigernden Schlagzeugaktionen, die kongenial mit den modulierenden Blechbläsern harmonisierenden Streicher waren einzigartig und werden unvergesslich bleiben.

Bernd Alois Zimmermann: Die Soldaten

Oper in vier Akten, nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792)

Musikalische Leitung: Ingo Metzmacher

Regie & Bühne: Alvis Hermanis

Kostüme: Eva Dessecker

Licht: Gleb Filshtinsky

Dramaturgie: Götz Leineweber

Mit: Alfred Muff, Laura Aikin, Tanja Ariane Baumgartner, Cornelia Kallisch,

Tomasz Konieczny, Renée Morloc, Reinhard Mayr, Daniel Brenna, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Boaz Daniel, Matjaž Robavs, Morgan Moody, Gabriela Beňačková, Matthias Klink, Beate Vollack, Werner Friedl u.a.

Wiener Philharmoniker

Jazz Combo: Johannes Bauer (Gitarre), Tony Ganev (Kontrabass), Rudolf Matajsz (Trompete), Petkov Nedialko (Klarinette)

20. August 2012, Felsenreitschule Salzburg


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