Vom deutschen Holzmichel

Mit „Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald“ liegt eine umfangreiche Wirtschafts- und Symbolgeschichte vor

Gut Holz!
anonym

Die Deutschen und der Wald, das ist eine Sache für sich. Der Michel und Holzwurmhaine sind fest miteinander verwachsen, isoliert sind sie undenkbar und scheinen nicht nur fest zu wurzeln im uranfänglichen Mythos jenes Territoritums und seiner späteren Bewohner, den man heute Deutschland nennt. Wenn den Kelten nur eine Angst nachgesagt wird, nämlich dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt, so haben Germanen Panik vorm Waldverbot. Kurzum: Die imaginierte Gemeinschaft der Deutschen wurzelt im Blut- und Waldboden-Phantasma.

Teutoburger Wald und Arminius, Waldsterben und Borkenkäfer, Röhrender Hirsch und Wildbach, Wandervogel und Waldlager, Forst und Wirtschaft: Mehr als ein weites Feld versperrt das Beziehungsdickicht der Deutschen zum Wald dem Suchenden die einfache Sicht auf einen geraden Pfad. Eine Lichtung im vieldimensionalen Deutungsraum Wald bietet der Sammelband Unter Bäumen, den man allein schon wegen des hübschen Titels loben muss. Er ist der Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, die im März 2012 im Deutschen Historischen Museum in Berlin endete. Und auch für sich genommen ist der Katalog eine Fundgrube an Waldwissen.

Bis heute, so ist zu erfahren, ist der Wald der Sehnsuchtssort der Deutschen. Keine anderes Landschaftsmerkmal strahl mehr Freiheit für sie aus, als der Raum unterm Blätterdach. Noch heute würden viele das Credo des konservativen Schriftstellers Wilhelm Heinrich Riehl unterschreiben, der vor mehr als eineinhalb Jahrhunderten festhielt: „Der Wald allein läßt uns Culturmenschen noch den Traum einer von der Polizeiaufsicht unberührten persönlichen Freiheit genießen. […] Ja ein gesetzter Mann kann da selbst noch laufen, springen, klettern nach Herzenslust“. Das interessante hieran ist, dass aber viele Deutsche gar nicht in den Wald gehen. Die Projektionsfläche allein genügt wohl – hier kommen sich Fiktion und Realität so nahe wie selten sonst. Das Kaleidoskop des Buches ist dabei erschöpfend. Bei den in ganz Europa zu findenden Mythen vom Wilden Mann angefangen, ist natürlich von der Geschichte des Waldlebens und der Forstwirtschaft die Rede. Fotos und Abbildungen zeigen die Entwicklung der Förstermode, Politiker bei der Jagd und die Auseinandersetzung mit Baum & Co. durch die bildende Kunst sowie die Preisungen der Touristik- und Freizeitindustrie. Dabei ist auch zu erfahren, wie der ehedem dunkle Geselle Wald, die unheimliche Baumgruppierung vor rund 200 Jahren als etwas Schönes entdeckt wird, zum kostbaren Stück Heimat, das dann und wann ins Unendliche überhöht wird, etwa wenn deutsche Kultur als ohne Wald undenkbar hingestellt wird. „Eine Straße aber muß Bäume haben, wenn anders sie ein deutsche Straße sein soll“, hier es beim Autobahn 1934. – Der Wald als Modell der „vitalen Volksgemeinschaft“.

Wer hätte gedacht, auch das lässt das Buch wissen, dass es die Forstwirtschaft war, die im Erzgebirge bereits Anfang des 18. Jahrhunderts den – bis heute anhaltenden – Nachhaltigkeitsbegriff schöpfte? Die alten Holzmichel haben also doch schöneres zu bieten als Schwippbogen, Nussknacker und dem, was der Wald sonst noch so hergibt.

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Holz lautet ein alter Name für den Wald. Im Holz sind Wege, die meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören. Sie heißen Holzwege. Jeder verläuft gesondert, aber im selben Wald. Oft scheint es, als gleiche einer dem anderen. Doch es scheint nur so. Holzmacher und Forstleute kennen die Wege. Sie wissen was es heißt, auf einem Holzweg zu sein.
Martin Heidegger

Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald

Sandstein Verlag

Dresden 2011

320 S. – 38 Euro


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