Beziehungen in Bewegung

Choreograph Diego Gil inszeniert mit „Abstract Attractions“ eine performative Körperstudie auf einem Zwölf-Meter-Catwalk im Schaubühnen-Ballsaal

Foto: Jan Stratmann

Es ist die Frage nach der Wahrnehmung eigener und fremder Bewegungen, die die zwei Tänzer an diesem Abend in der Schaubühne Lindenfels antreibt. Antreiben, genau das richtige Wort bei einer Tanzperformance wie Abstract Attractions. Die beiden auf der Bühne umkreisen sich, gehen aufeinander zu und stoßen sich ab. In der 45-minütigen Performance des argentinischen Choreographen Diego Gil, der gleichsam den männlichen Tanzpart übernimmt, versuchen die Körper, ihre eigene Sprache fern ab von Worten zu finden. Der Zuschauer ist dabei nicht nur passiver Beobachter. Vielmehr wird er durch das Bühnenarrangement indirekt eingebunden in das Geschehen.

Die Bühne ist schnell als Laufsteg auszumachen, der sich durch den Saal der Schaubühne erstreckt. Links und rechts von dem mit weißem Stoff überspannten Catwalk findet der Zuschauer auf jeweils zwei Stuhlreihen seinen Platz und es fühlt sich ein bisschen so an, als würden jeden Moment Models in teuren Designerkleidern zu lauter, hämmernder Musik den Raum betreten um sich von allen Seiten begutachten zu lassen. Stattdessen sind es die Tänzer Diego Gil und Irina Müller, die den Laufsteg betreten, Designerkleider sind an ihnen nicht auszumachen, der Teil mit der Musik kommt aber durchaus hin.

Aufrecht stehen die beiden da und wirken sehr konzentriert. Das Publikum scheinen sie nicht wahrzunehmen, alles worauf sich ihr Fokus jetzt richtet, ist der cirka zwölf Meter lange Catwalk, der vor ihnen liegt. Eingehüllt von einem stetig pochenden Herzschlag, der aus dem Boxen kommt, tastet jeder Tänzer für sich die Bühne ab. Immer wieder gehen die beiden Performer so abwechselnd ihren Weg und sind die Bewegungen zu anfangs noch eher verhalten, so weiten sie sich mit jedem weiteren Lauf aus. Auch die Musik transformiert sich. So wird aus dem anfänglichem Herzschlag immer drängendere Musik, für das Gehör unangenehme Geräusche mischen sich dazu. Die Szene weitet sich immer mehr aus und wirkt zuweilen etwas anstrengend und monoton.

Choreograph Diego Gil strebt in seiner Performance Abstract Attractions eine nicht-narrative Ebene an, er will keine Geschichten erzählen, sondern die Kräfte zweier Körper, die in Bewegung zueinander stehen, aufzeigen. Er benötigt keine Worte zur Vermittlung, sondern lässt die Körper sprechen und den Raum abtasten. Dabei kommen sich auch die Tänzer immer näher. Bewegen sich beide zunächst scheinbar unabhängig voneinander, so werden die Bewegungen im Laufe der Performance immer stärker beeinflusst vom Gegenüber. Die Mitte des Laufstegs, die als Trennlinie dient, wird von beiden in der ersten Zeit strikt als solche eingehalten, doch im Verlauf der immer weiter ausholenden Bewegungen nähern sich auch die Körper auf immer intimere Weise an. Schließlich gibt es für beide keine Trennung mehr, die Mittellinie wird übertreten und somit auch die Distanz zueinander aufgelöst.

Es folgen eng verschlungene Bewegungen, die Tänzer gehen auf der Bühne eine Symbiose ein und werden zu einem homogenen Gebilde, das in wiegenden Bewegungen, Kopf an Kopf, einen Rhythmus findet. Eine erotische Verbindung besteht, die mit Nähe und Distanz spielt. Diese sinnliche Verbindung steht im Kontrast zu einer anderen Szene, in der die Tänzer sich mit anamalischen, grob wirkenden Tänzen zueinander wenden, was den Eindruck eines primitiven Paarungstanzes aufkommen lässt.

Im weiteren Verlauf lösen die Tänzer die Trennung zwischen Bühne/Laufsteg und Zuschauerraum auf, sie ziehen die Bühnenplatten, die den Catwalk bildeten, auseinander und machen so einen tiefen Spalt auf, aus dem rot-violettes Licht pulsiert. Der ganze Ballsaal wird nun genutzt, und so tanzen sie vor und auch hinter den Sitztribünen. Schließlich finden die erschöpften Körper sich auch als Zuschauer ein, sitzen auf Stühlen im Publikum und beobachten die leere Bühne, auf der nun nur noch Lichtspiele zu sehen sind.

Am Ende des Abends hat man keine Geschichte gesehen, eine Handlung sucht man vergebens. Vielmehr kann man das Gesehene als Körperstudie betrachten, als Frage nach Bewegung und Beziehung von Körpern. Und wenn sich am Ende zeigt, dass sie Performer gleichsam auch Zuschauer sind, sind dann vielleicht auch die Zuschauer mehr als nur Beobachter?

Abstract Attractions

Choreografie, Tanz: Diego Gil, Irina Müller

Premiere: 26. Oktober 2012, Schaubühne Lindenfels


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