Arsch und Titten, Arsch und Titten …

Martin Laberenz inszeniert „Zerschossene Träume“ in der Skala

Benjamin Lillie, Christian Kuchenbuch, Günther Harder, Linda Pöppel, Sarah Franke, vorn: Sarah Sandeh (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Zerschossene Träume wagt den Versuch, sich unter dem Druck einer wahren Diskursflut der Beantwortung der Frage, was das Selbst sein soll, anzunähern. Eröffnet wird das Ganze von einem Dialog zwischen zwei sprechenden Riesen-Radieschen. Die Erörterung der banalen Frage, ob es sich heutzutage geziemt, dass ein Mann einer Frau die Tür offen halte, verliert sich schnell in überbordenden Gedankenspielen. Wäre es angemessen, dass ein Mann im Hasenkostüm einer von einem Transvestiten gespielten Frau die Tür öffne? Das Stück kritisiert immer wieder heteronormativ konstruierte Geschlechterbilder. Beschäftigt sich aber auch mit den Fragen: Legt ein Schauspieler jemals seine Rollen ab? Welche davon ist authentisch? Was ist Realität?

Im Fortlauf wendet sich das Stück der Suche nach dem natürlichen Körper zu. Gibt es ihn? Was ist das, der Körper? Das Gegenteil einer Utopie? Ein absoluter, unentrinnbarer Ort, untrennbar von der Person? Ist der Körper eine Projektionsfläche, ungeschützt vor kultureller Einschreibung? Der Zuschauer wird aufgefordert den Perspektivwechsel zu wagen, was im Übrigen auch durch die freie Bewegung um die zentrale Bühne möglich wird. Das Stück probiert das ein oder andere Gedankenkostüm an. Keines scheint jedoch so richtig gut zu passen. Wie erschafft man sich einen „organlosen Körper“? Kann der Anus als neues Lustzentrum etabliert werden, um den Phallozentrismus abzuschaffen, Geschlechterunterschiede aufzuheben?

Christian Kuchenbuch, Benjamin Lillie

Diesem und anderem geht das Stück in einer recht plakativen Weise nach. Der immer wieder gebrochenen Fiktion folgend, findet sich der Zuschauer einen Großteil des Stückes in einer schönheitschirurgischen Klinik wieder. Aufeinander treffen Lindsay Lohan, aus offenkundigen Gründen als Projektionsfläche für den Stoff dienend, und Thilo Sarrazin, der sich an seinem gesamten Körper Multi-Reflexzonen hat implantieren lassen, um permanente sexuelle Lust zu empfinden. Sein kompletter Leib gleicht einem Geschlechtsorgan.

Wenn Sarah Sandeh konstatiert, dass das Bewusstmachen patriarchaler Strukturen meist zur Reproduktion derselben führt, während sie Arsch und Titten der vermeintlichen Lindsay Lohan (gespielt von Günther Harder) preist, stellt sich der fahle Beigeschmack ein, dass auch das gesamte Stück ohne dergleichen nicht auskommt. Und so sind die Frauen, mögen sie auch Männer spielen, inkonsequenter Weise in alter Manier überwiegend sexy inszeniert. Reizvoller hätte es sich möglicherweise gestaltet, sie wären Kürbis, Radieschen & Co. geblieben.

Die abschließend skalierten Textversatzstücke zumeist soziologischen, kulturkritischen Inhalts erweisen sich als beschämend inszenierter Sprechgesang, dem ein sinnlicher Genuss sowie das Rezipieren im eigentlichen Sinne verwehrt bleibt. Obwohl sich der Abend angenehm unprätentiös gestaltet, Inhalte fast gebetsartig Repetition finden, bis auch der Letzte sie verstanden hat, entsteht das Gefühl, dem Zuschauer werde hier recht wenig Abstraktionsvermögen zugetraut. Angesichts der Stofffülle und Theorienlastigkeit dennoch ein pfiffiger Kniff, die Aufmerksamkeit des Publikums nicht zu verlieren.

Zerschossene Träume

R: Martin Laberenz
Mit: Linda Pöppel, Sarah Franke, Günther Harder, Sarah Sandeh, Christian Kuchenbuch, Benjamin Lillie

Gesehen am 3.November 2012


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