Toine Heijmans’ „Irrfahrt“ erzählt vom Segeln, von Familienbanden und von divergierender Wahrnehmung bei unterschiedlichen Perspektiven
Donald Crowhurst war ein Hobbysegler, der 1968/69 an einem Rennen teilnahm, bei dem er von England aus alleine und ohne Stopp um die Welt segeln sollte. Schon bald nach seinem Start zeigte sich, dass daraus nichts werden würde, weil es immer wieder Probleme mit dem in aller Eile gebauten Boot gab und Crowhurst mit dem Segeln auf offener See wohl auch zu wenig Erfahrung hatte. Er entfernte sich von der Strecke und gab dennoch vor, weiterzusegeln, indem er entsprechende Positionen funkte. Sein Plan war es, sich einige Monate im Südatlantik herumzutreiben und dann nach England zurückzusegeln. Im Juli 1969 hat er sich vermutlich über Bord gestürzt, sein leeres Boot wurde später gefunden. Die dort befindlichen Aufzeichnungen legen nahe, dass sowohl die Situation auf See wie auch das Wissen um das verlorene Rennen und das entgangene Preisgeld, das ihn saniert hätte, Crowhurst in den Wahnsinn getrieben haben. Die letzte von ihm überlieferte Äußerung lautet: „There is no reason for harmful…“
Diese kryptische Zeile ist dem Roman Irrfahrt voran gestellt. Das Zitat und der Titel des Buches führen die Erwartungen des lesenden Publikums eigentlich auf den Holzweg. Denn der Protagonist begibt sich zwar auf große Segeltour, aber weder verfährt er sich, noch verirrt sich. Während der letzten zwei Tage der wochenlangen Fahrt soll seine siebenjährige Tochter ihn begleiten. Die holt er plangemäß im dänischen Thyrobøn ab, um den niederländischen Hafen Harlingen anzusteuern. Auch wenn das Boot in Harlingen ankommt, sich also auch hier nicht auf Irrfahrt befindet, sind diese zwei Nordseetage kein friedliches Geplansche. In rasanter Ereignisfolge auf dem Wasser, zwischen Wellengang und ruhiger See, schlechtem und gutem Wetter, Nachtwache, Schwimmausflug und Sorge um die Tochter wird man an Crowhurst gemahnt, während man wie nebenbei in die Funk-Gepflogenheiten zwischen Seglern und Leuchtturmwärtern und in wichtige Regeln beim Segeln eingeführt wird. Dazu gehört die, dass man, wenn man sich im Meer aufzuhalten gedenkt, die Außenleiter ausfahren sollte – zumindest sofern man vorhat, wieder an Bord zu kommen. Dem fürsorglichen Vater und sorgfältigen Segler fällt dennoch was ein. Ihm gelingt das Unmögliche und mittels einer Taukonstruktion kann er das Boot wieder zu entern.
Nachmachen sollte man die Nummer mit der Leine aber besser nicht. Was sich in der Sicherheit der heimischen Stube so liest, als könnte es gelingen, kann vielleicht gar nicht klappen. Überhaupt sind die Informationen aus dem Buch eigentlich mit Vorsicht zu genießen, denn nicht alles verhält sich so, wie es da steht. Der Faden der Erzählung ist so gestrickt, dass beim Lesen erst nach einer Weile klar wird, dass es zwei Realitäten gibt: die Welt des Protagonisten und die der anderen Leute. Die Ehe zwischen dem Protagonisten und seiner Frau, sein Job und sein Ansehen in der Firma und – vor allem – das Verhältnis zu seiner Tochter – vielleicht stimmt ja alles nicht, was er von sich erzählt, vielleicht stimmt immerhin manches, vielleicht wäre es sogar ganz gut für ihn, wenn es weder diese Arbeit noch diese Ehe gäbe und sein Leben Abenteuer wäre. Nicht mal das Schiff stellt die strahlende Göttin der Meere dar, der man fast das ganze Buch hindurch blind vertraut möchte, sondern ist eigentlich eine ziemlich abgeranzte Schaluppe.
Heijmanns kann man bescheinigen, dass er die Kunst beherrscht, diese Geschichte und ihre Möglichkeiten spannungsreich zusammenzustricken. Achja, eine Seltenheit in einem Buch für Erwachsene: Die Geschichte wird flankiert von wunderschönen holzschnittartigen Illustrationen von Jenna Arts.
Toine Heijmanns: Irrfahrt
aus dem Niederländischen von Ilja Braun
Arche Paradies
Zürich 2012
160 S. – 18 Euro
Kommentar hinterlassen