Dichter, Denker, Vaterfigur

Der Schriftsteller Peter Handke ist in diesem Monat 70 Jahre alt geworden. Gleich drei neu erschienene Bücher bringen uns Person und Werk näher

Am 5. Oktober 2012 lud der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer seinen Landsmann zu einem „Abend mit Peter Handke“ in die Josephskapelle der Wiener Hofburg (Foto: Dragan Tatic/HBF)

Mit Die Angst des Tormanns beim Elfmeter und Wunschloses Unglück fängt es bei den meisten an. Könnte man die Stationen eines jungen Lebens in Lektürephasen einordnen, so käme nach Hermann Hesse im Alter von rund 15 bis 17 Jahren relativ kurz danach Peter Handke mit seinen bis heute am meisten zitierten, bekanntesten Werken, die aber fast nur einen geringen Prozentsatz dieses überwuchernden und unerschöpflichen Werkes bilden. Hat man sich an den vielen Büchern Handkes festgebissen (bis heute sind es dutzende, fast alle im Suhrkamp Verlag erschienen), dann kommt man – im Gegensatz zu denen von Hermann Hesse – auch im Erwachsenenalter nicht mehr davon los.

Die Leser von Peter Handke sind dabei in der Regel – so scheint es zumindest – männlich. Auch in der Kritikerlandschaft Deutschlands sind die Handke-Enthusiasten meist männlich, während die Grandes Dames Iris Radisch und Elke Heidenreich darüber klagen, dass die Frauenfiguren bei Handke jenseits der Rolle als Mutter oder Heilige über keinen größeren psychologischen Überbau verfügen. Dass dem natürlich nicht so ist, dafür liefert allein schon das bereits oben erwähnte Wunschloses Unglück einen idealen Beweis, ist doch dieses schmale Buch ein lebensumspannendes Psychogramm einer Frau, die fast schon nur nebenbei Peter Handkes Mutter war.

Wird man aber als Handke-Leser gefragt, was man denn nun an diesem „alten Zausel“ (wie Handke 2005 auf Spiegel Online betitelt wurde) so faszinierend fände, gerät man in eine Rhetorik durchmischt von Begeisterung und überfordertem Gestammel. Man muss sich ja in der Regel eher selten für das Lesen bestimmter Dichter rechtfertigen, Handkes politische Ausrutscher der letzten fünfzehn Jahre scheinen dafür eine Notwendigkeit zu ergeben, auch wenn es schon andere politisch fehlgeleitete Dichter gab und die Trennung von Werk und Person eine Selbstverständlichkeit darstellen sollte.

Wie gut, dass Leopold Federmair mit seinem Essayband Die Apfelbäume von Chaville eine Argumentationsgrundlage liefert, die mit größtmöglicher Akribie, die fast schon an ein Auswendigkennen des Handke-Werks grenzt, verfasst wurde. In den acht Essays von Federmair stecken acht verschiedene Herangehensweisen an Handkes Bücher. Von einem persönlichen Besuch im nicht minder berühmten Haus des Dichters in Chaville bei Paris, über linguistische Betrachtungen bis hin zu Handkes Selbstverständnis als Familienvater, stecken in diesem Band diverseste Blickwinkel auf ein Werk, bei dem Federmair keinen Hehl aus seiner Bewunderung macht. Aber Obacht: Die Apfelbäume von Chaville ist keine Einführung oder gar eine Einladung, Handke zu lesen. Ohne ausführliche Kenntnis des Gesamtwerks geht man schnell verloren in Federmairs Texten.

Peter Handke selbst hat nun einen vierten Band für die Reihe seiner 1989 begonnenen Versuche geschrieben. Nach dem Versuch über die Müdigkeit, die Jukebox und den geglückten Tag macht der Autor mit dem Versuch über den Stillen Ort sich und seinen Lesern das schönste Geschenk zu seinem Geburtstag. Der Text, eine Mischung aus Essay und Erzählung, handelt tatsächlich von Toiletten. Einem Ort, an dem in der Regel mehr gelesen wird, als dass man über ihn schreibt. Handke gewinnt aber dieser schutzfreien und tabuisierten Zone unseres alltäglichen Lebens neue Perspektiven ab. Wo sonst kann man sich abschotten vor dem Gerede und Gedränge der Großstädte? Die Flucht auf den stillen Ort, der bei Handke auch ein Friedhof in Japan sein kann, bedarf nur einer kurzen Entschuldigung, sofern man in Begleitung ist. Sobald man aber jemanden auf der Toilette trifft, so wie einst Handke seinen Professor in Graz, wird der stille Ort auf ganz andere Weise magisch. Diese Magie, die auf dem Abort an sich nicht erkennbar ist, sichtbar zu machen, das gelingt Handke glänzend.

Kommen wir aber nun noch zum Herzstück des Publikationsreigens zum 70. Geburtstag von Peter Handke, der am 6. Dezember diesen Jahres gefeiert wurde. Der Briefwechsel zwischen Siegfried Unseld und Peter Handke ist neben Fritz J. Raddatz’ Tagebüchern und dem Briefwechsel der zwischen Thomas Bernhard und ebenfalls Siegfried Unseld stattfand, einer der ganz großzügigen Einblicke in den deutschen Literaturbetrieb des 20. Jahrhunderts. Was Mitte der 1960er Jahre sehr zurückhaltend beginnt, als Handke das Manuskript zu seinem ersten Roman Die Hornissen in Frankfurt einsendete, entwickelt sich zu einer Autor-Verleger-Beziehung, die die großen Emotionen nicht scheut. So ist Peter Handke zutiefst erzürnt, als er bei Unseld auf dem Schreibtisch ein Buch von Marcel Reich-Ranicki entdeckt, jenem Kritiker, dem Handke bis heute absolut verhasst ist aufgrund einiger Verrisse in den 1970er Jahren. Von 1965 bis 2002 gehen über 600 Briefe hin und her. Suhrkamps Cheflektor Raimund Fellinger hat gemeinsam mit Katharina Pektor den Band großzügig und informativ kommentiert. Somit wird der Briefwechsel auch für Handke-Anfänger zum Vergnügen.

Bei diesen drei Publikationen fühlt man sich als Leser reichlicher beschenkt als Handke selbst, der seinen Geburtstag vermutlich zurückgezogen in seinem Haus bei Paris verbracht haben wird. Was will man diesem Mann auch noch schenken, der seit vielen Jahren etwas für sich beanspruchen kann, von dem nur die allerwenigsten bereits zu Lebzeiten ausgehen können: Unsterblich zu sein für Millionen ergebener Leser.

Leopold Federmair: Die Apfelbäume von Chaville

Jung und Jung

Salzburg 2012

302 S. – 22 Euro


Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort

Suhrkamp

Berlin 2012

109 S. – 17,95 Euro


Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel

Hrsg. von Raimund Fellinger und Katharina Pektor

Suhrkamp

Berlin 2012

798 S. – 39,95 Euro


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