Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt

„August“ ist die letzte Erzählung von Christa Wolf und ein Zeugnis der Meisterschaft dieser Autorin

In vielen Illustrierten gibt es die allseits bekannte und beliebte Rubrik „Was macht eigentlich…?“. Bei literarischen Figuren, die einem besonders im Gedächtnis geblieben sind und die Romanhandlung lebendig überstanden haben, würde einen das auch ab und an interessieren. Ein Buch und seine Charaktere so zu lesen, als würde man sie schon ewig kennen, das kann eben ganz große Literatur sein. In Christa Wolfs letzter Erzählung taucht August wieder auf, der 1976 in ihrem umfangreichsten Buch Kindheitsmuster auftrat und der Erzählung, die Wolf im Juli 2011 fertig stellte, seinen Namen gibt. Was macht August eigentlich heute?

Sein derzeitiges Leben ist alles andere als spektakulär. Er kutschiert von Berlin aus Rentner mit dem Reisebus nach Prag oder Dresden. Dabei steuert er den Bus weitestgehend apathisch. Nur das laute Gerede der Reisebegleiterin stört ab und an, wenn August sich während der Fahrt an die Zeit in der Mottenburg erinnert, einer Heilstätte für Lungenkrankheiten, die ihn aufnahm, nachdem er seine Mutter auf der Flucht aus Ostpreußen verloren hatte. Dort lernte er einst die siebzehnjährige Krankenschwester Lilo kennen, die sich als einzige gegen die repressive Hierarchie in der Mottenburg zur Wehr setzte und als einzige wirklich Verständnis für August aufbrachte.

Diese wenigen, letzten Seiten einer der wichtigsten Autorinnen der letzten Jahrzehnte kommen in edler Aufmachung daher. Zu Recht, ist diese Erzählung doch nicht nur aufgrund des zeitnahen Todes der Autorin kurz nach Entstehung des Textes etwas ganz besonderes. August rührt nämlich ganz unsentimental an dem, was uns im höheren Alter hoffentlich bleiben wird: Eine unverklärte und unbeschönigte Erinnerung an das, was uns geprägt hat. Es ist zutiefst bedauerlich, dass Christa Wolf nun zum letzten Mal darüber geschrieben hat.

Christa Wolf: August

Suhrkamp

Berlin 2012

38 Seiten – 14,95 Euro


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