Stille versus Hype

Über Brückenschläge zwischen Geräusch und Stille, Begeisterung und Objektivität – Efterklang im Centraltheater

Fotos: R.Arnold/Centraltheater

„Es ist so seltsam leise hier… Dabei seid ihr so, so viele!“, flüstert Caspar Clausen ins Mikrofon. Der Efterklang-Sänger steht am Bühnenrand und späht in das Dämmerlicht durch die bis zum letzten Platz besetzten Reihen. Noch in den erhabenen Höhen des Rangs versteht man durch die gespannte Stille jedes Wort. Efterklang freuen sich über die Kulisse des Centraltheater und zeigen sich fasziniert von der Stille in dem eleganten Raum. Die dänische Lieblingsgruppe soll im Verlauf des Konzerts noch häufig mit der Szene und ihren Klangbeschaffenheiten spielen. Und auch soll es einer dieser Auftritte werden, die mitunter von der Begeisterung des Publikums leben und während denen der Hype so manches übertönt, was den Jubel vielleicht hätte dämpfen könnte.

Nachdem Multiinstrumentalist Peter Broderick eine gelungene Einstimmung mit seinen Solowerken dargeboten hatte, kehrt er nach dem theaterüblichen Pausengong mit Efterklang auf die Bühne zurück. Er ist nicht der einzige Gast, den das Trio in seine Live-Besetzung der Tour zum neuen, nunmehr vierten regulärem Album Piramida geladen haben: Tatu Rönkkö ersetzt Thomas Husmer am Schlagzeug, der die Band 2011 verließ und Vokalistin Katinka Fogh Vindelev vervollständigt das Sextett.

2011 waren Efterklang zuletzt im Centraltheater aufgetreten, damals mit An Island im Gepäck, ihrer Filmkollaboration mit Vincent Moon. Schon damals hatten sie die Eleganz der Stille des Raums entdeckt. Und schon damals waren die Karten frühzeitig ausverkauft gewesen und das Publikum förmlich ausgerastet. Leipzig liebt diese Band, so scheint es, abgöttisch. So hört man selbst abends an Kneipentischen nie ein negatives Wort über die Gruppe und trotzdem branden wilde Diskussionen los, sofern sich jemand erdreistet zu äußern, er würde Efterklang nicht kennen oder sie gar nur „ganz nett“ findet. Auch das eigentlich doch recht andersartige neue Album scheint diese Resonanz nicht gebrochen oder zumindest kaum jemanden davon abgehalten zu haben, unbedingt auf das Konzert gehen zu wollen. Schließlich ist Piramida weit elektronischer als seine organisch-orchestralen Vorgänger und auch weitaus linearer in der Dynamik, viel ruhiger und geradliniger im ersten Hören als das vertrackte und ausschweifende Aufbegehren, das nahezu alle älteren Stücke kannten.

Mit den ersten beiden Stücken, darunter die Single Apples vom neuen Werk, verursachten Efterklang erste Gänsehaut, doch gewiss nicht nur der wohligen Art. Um zu verstehen warum, muss man Efterklang früher einmal gesehen und gehört haben – als eine der natürlichsten und organischsten Bands, mit Inbrunst und Wildheit, unzähligen Instrumenten auf der Bühne, lauten, mehrstimmigen Gesängen aus voller Seele und taumelnden Tanzeinlagen. Man erinnert sich an vielschichtigst verflochtene, warme Klavier-Schichtungen, Bläser, Streicher, polyrhythmisch verschrobenen Indie-Pop mit einem Hauch Folk und viel schönem Drama, an eine ungeheure melodische Vielfalt und manche harmonische Komplexität. Nur so erklärt sich, wie schwer es ist, ein Großaufgebot an Laptops und Synthie-Klaviaturen im Bühnenbild zu akzeptieren. Und als wäre dies nicht genug, so schienen auch die gut sitzenden Jackets und das glitzernde Abendkleid der Sängerin Katinka Fogh Vindelev keinerlei Bruch mehr dar. Auch ihre Stimme, der man eine klassische Ausbildung im wohltemperierten Vibrato mehr als deutlich anhörte, ließ im ersten Moment die gewohnte Natürlichkeit vermissen. Steif standen die Sechs auf der Bühne und spielten fehlerlos und im wie üblich wunderbaren Centraltheater-Sound. Die Stücke besaßen Dynamik, mehr als man beim Hören auf Platte vielleicht erwartet hätte. Aber alles wirkte gezähmt. Und beängstigend glatt.

Als sich Caspar Clausen nach dieser Eröffnung im üblichen charmant-brüchigen Englisch zu Wort meldet, herrscht eine Weile lang absolutes Schweigen. Als jedoch das Publikum mit einem tosenden Applaus sich für seine geflüsterten Komplimente bedankt, zerreißt er mit ungeheurer Intensität nicht nur die Stille, sondern auch das starre Korsett. Bewegung entsteht – überall. Nach und nach beginnt es in den starren Stuhlreihen zu wogen. Köpfe nicken, Füße tappen und auf einen Wink von der Bühne springt der ganze Saal auf und wiegt im Tanz. Peter Broderick bringt auf der Bühne mit einer seiner typischen, linkischen Tanzeinlagen zum Lachen und all das liebenswerte Ungestüm bricht nach und nach durch: Zu zweit trommeln Efterklang wild tanzend an einem Schlagzeug, impulsives Zucken und laute, ehrliche Chöre bringen jenen unaffektierten Schalk und die alte Natürlichkeit zurück.

Spätestens als Klausen zu „Modern Drift“ umständlich das Mikrofonkabel abwickelt, um wankend über die Stühle durch das Publikum zu klettern – von begeisterten Fans an den Händen gehalten – ist jegliche Starrheit aufgelöst und auch der altbekannte Pathos wieder gänzlich hergestellt. Die Chemie zwischen Bühne und Publikum stimmt, man fühlt eine gewisse Nähe, große Verbundenheit im Raum. Als Efterklang plötzlich mitten im Lied abbrechen und beinahe eine Minute in Schweigen verharren, verstehen die Zuhörer sofort. Niemand klatscht, die Spannung steigt und unter einer Glocke aus Stille hört man förmlich die Nackenhärchen sich aufstellen.

Gerade Songs wie „Modern Drift“, die von Vorgängeralben stammen, schlägt binnen der ersten Töne laut grüßend erkennende Begeisterung entgegen. Dass gerade diesen die neue Synthie-lastige Live-Besetzung eigentlich gar nicht so gut steht, scheint kaum jemanden zu stören, geschweige denn überhaupt aufzufallen, ebenso wenig wie vom Band eingespielte Parts. Der Jubel ist grenzenlos. Zugegebenermaßen lässt sich Piramida wohl live kaum ohne Laptops und Synthesizer umsetzen. Schließlich basiert das Stück auf Field Recording, Geräuschaufnahmen aus dem gleichnamigen Ort. Das Trio bereiste Piramida, eine verlassene Stadt im Eis in Spitzbergen, und machte die ureigenen Klängen der vergessenen Szene zur Grundlage ihres neuen Klangkosmos. So schade es ist, vermutlich wäre es schlicht zu aufwändig zu der elektronischen Ausrüstung noch viele andere Instrumente mit auf Tour zu nehmen und auf der anderen Seite auch schade, keine älteren Songs mehr zu spielen.

Nach einem sehr umfassenden Set, welches das neue Album gut vorstellte und auch die beliebtesten der älteren Stücke nicht vergaß, folgten zwei Zugabeblöcke, beide nach minutenlangem Applaus. Darunter der Hit „Alike“ vom Vorgängeralbum. Hier probierten die Sechs etwas, das ihnen schon oft gelungen war – eine A-capella-Version, reduziert begleitet von einer alten Spielzeugorgel. Obschon man sich, ganz in der Dynamik eines Gemeinschaftsgefühl von dem verzauberten Publikum eigentlich hätte hinreißen lassen müssen, konnte ein konzentriertes Ohr nicht überhören, dass hier so manches holpernd und sehr viel dünner klingt, als manch anderes Mal. Und auch Fogh Vindelevs geschulte Stimme wirkt fremd. Nichtsdestotrotz war die Geste charmant und der Vortrag nicht schlecht – nur eben anders. Und weniger selbstverständlich gut als sonst.

Der Hype, der diesem Konzert das letzte Bisschen zum gewissen Etwas geschenkt hat, ist sicher kein leerer Rummel. Was die Menge so emotional in Aufregung versetzt hat, ist gewiss echte Liebe im musikalischen Sinne und weit mehr als ein Trend und Efterklang beim besten Willen keine konstruierte Image-Band sondern besetzen eine wichtige Stelle der aktuellen Pop-Szene. Sie sind eben wandelbar, das haben sie schon in jedem Schritt zu jedem neuen Album bewiesen. Sicher sind sie mittlerweile so, auch in ihrer Live-Performance ein ganzes Stück von ihrem Ausgangspunkt abgekommen und so fehlen dem, der sie genau so behalten wollte, nun eben einige Elemente. Trotzdem fehlt an keiner Stelle das Gefühl, dass sie mit ganzer Leidenschaft tun, was immer sie tun, und diese Überzeugung überträgt sich im Konzert berechtigt auf den Hörer. Liebe macht bekannterweise gelegentlich blind und jeder Hype wohl zuweilen auch taub. Aber das macht nichts. Die Begeisterung, die sie bewirken, ist begeisternd. Und die Stille, die ihnen eine neue Eleganz verleiht, steht ihnen am Ende recht gut.

Efterklang

3. Dezember 2012, Centraltheater


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