Die Illusion vom Menschsein

„Mein Faust“ in der Inszenierung von Sebastian Hartmann verstört im Centraltheater

Szene mit Cordelia Wege (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Viele Worte braucht man nicht. Faust kennt man, lernte man, zitierte man. So streicht Hartmann in seinem Faust auch kurzerhand die Sprache. Es ist ja alles gesagt über Faust. Und so beginnt das Stück mit großen Gesten. Sehnsuchtsvollen Gesten in opulenten Kostümen. Diese weisen auf edle Herkunft der Protagonisten hin. Doch was bedeutet schon Herkunft, Mensch bleibt Mensch. Und dieser ist doch, erinnern wir uns an Mephistopheles, „tierischer als jedes Tier“. Nachdem die Flamme der Leidenschaft und Sehnsucht erloschen ist, beginnt dröhnende Musik eines nackten Musikers und der Rest der edlen Gesellschaft erscheint. Hartmann setzt an diesem Abend Akzente und schafft übertriebene Pole. Auf der einen Seite die pompösen Kostüme, die die höhere Gesellschaft zeigt. Wenn diese Kostümierung in ihrer Übertreibung lächerlich ist, so lässt diese feine Gesellschaft auch bald ihre Maske fallen. Der andere übertriebene Pol ist die Gebärde, die sich antithetisch in die vornehmen Kostüme mischt und einen Cocktail aus Lächerlichkeit und Antipathie entstehen lässt. Man schaut sich an in diesem Stück und begehrt – sich und die anderen.

Nach einer halben Stunde der großen Sehnsüchte geht es mit lauten Klängen und grellem Leinwandlicht weiter. Im langsamen Schritt gesellte sich die ganze höfische Gesellschaft auf die Bühne. Mit dem Wahnsinn im Blick bröckelte die schöne Fassade sofort. Es dauerte nicht lange da lag die erste Perücke am Boden und damit auch die Kostümierung des Bürgerlichen. Wenn die Maske fällt, ist der Mensch nicht mehr zerrissen. Dem Trieb wird nachgegeben. Neben der Bühne sind Stühle aufgestellt. Die Darsteller können dort das Treiben beobachten. Und sich selbst wieder erkennen. Schon die erste erotische Szene ist verstörend: Animalisch fällt man über die Jüngste der Gemeinschaft her, während sie sich zwei Männern hingibt, gesellt sich ein dritter Mann hinzu, der über den Mann über ihr herfällt. Von der Seite wird dies belustigt und verstört beobachtet.

Szene mit Heike Makatsch

Bald zeigt sich auch gleich die Ignoranz dieser feinen Gesellschaft, die sich nicht artikulieren kann und nur animalische Geräusche von sich gibt. Die Zerrissenheit zeigt sich auch in der Suche – auch nach sich selbst – oder in sich selbst. Die Verstümmelung des Penis auf der Bühne ist kaum noch zu ertragen. Während das Publikum nicht recht weiß was es von diesem Szenario halten soll, schaut man am Rande der Bühne interessiert und belustigt. Dementsprechend humorvoll wird dieser Unfall dann auch wieder geflickt. Der Tanz um den Gepeinigten zeigt Desinteresse. Der Gepeinigte wird unsichtbar. Es ist wie mit den modernen Medien. Kurz erschrecken die Zustände und dann kann man sich wichtigerem widmen.

Ohne Schonung des Publikums geht es weiter. Die nächste Nackte, die sich in ihrer Entdeckung des Körpers, in ihrer Masturbation ergötzt. Das war dann auch mal zu viel Nacktheit. Langsam schaue ich auf die Uhr und frage mich, wie lange sich dieses Gekeuche und Gestöhne noch ertragen lässt. Während der Masturbation und der Erregung scheint die Erkenntnis so plötzlich über sie zu kommen, wie zu Eva nach dem Genuss der verbotenen Früchte. Diese plötzliche Erkenntnis ihrer Entblößung treibt sie schreiend nach draußen, und wieder beruhigt zurück.

Das letzte Stück von Sebastian Hartmann kann als mutig beschrieben werden. Mutig ist es auf Sprache zu verzichten und sich nur auf Gesten zu verlassen. Auch wenn er mutig war, so hat dieses Stück dennoch verstört. Und viele Fragen hinterlassen. Es zog sich am Ende in die Länge, 2,5 Stunden sind für dieses Konzept zu lang. Ein wirkliches Regiekonzept war nicht wirklich zu erkennen. Zwischendurch wechselte Hartmann zum Puppentheater und ins Komödiantische. Hier fehlten der Zusammenhang und der Handlungsstrang völlig.

Am Ende bleiben viele Fragen und verstörte Zuschauer. Und der Mut des stummen Endes.

Mein Faust

R: Sebastian Hartmann

Mit: Manolo Bertling, Artemis Chalkidou, Manuel Harder, Matthias Hummitzsch, Janine Kreß, Benjamin Lillie, Heike Makatsch, Sina Martens, Ingolf Müller-Beck, Peter René Lüdicke, Cordelia Wege und Susan Haubner, Nicole Merkel, Egon Voigtsberger

Premiere: 15. November 2012, Centraltheater

Zur Zweitrezension von Lisa Kanter

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