Ein Gespenst geht um

Robert Borgmann setzt schaurig-schön Ibsens „Gespenster“ in Szene

Marek Harloff, Janine Kreß, Thomas Lawinky und Linda Pöppel (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Die Vorstellung am 21. Dezember im Centraltheater war etwas Besonderes: Für den erkrankten Thomas Lawinsky übernahm Sebastian Hartmann kurzfristig die Rolle des Pastor Manders. Wenn ich auch Thomas Lawinky als Pastor Manders nicht gesehen habe, so passte doch Hartmann an diesem Abend perfekt in die Rolle. Mit einem Knopf im Ohr zu Beginn recht leise, passte er in seinen manchmal etwas unsicheren Auftreten zu den Gespenstern, die an diesem Abend umgingen: Immerhin bricht die heile Welt des Pastors vollends zusammen. Pastor Manders wird an diesem Abend in seinem Moralkodex vorgeführt. Hartmanns Unsicherheit scheint daher passend zur Rolle und reiht sich in die Handlung.

Robert Borgmann inszenierte an diesem Abend einen Familien-Psychothriller, der überzeugte. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, wird Adorno im Programmheft zitiert. Das macht Ibsens Stück von 1881, welches lange Zeit der Zensur unterlag, mehr als deutlich. Das falsche Leben ist von Beginn der Inszenierung an da, die Familienidylle, die nichts als Fassade war, ist schon zerstört und man ist mittendrin. Borgmanns Gespenster geistern schon umher und beginnen mit dem zweiten und dem dritten Akt, der erste Akt folgt später. Die Kulisse, die aus anderer Perspektive einem Gefängnis gleicht, ist umgeben von Wasser. Das Stück beginnt mit Gesang, melancholischen Gesang, der nichts Gutes verheißt, aber dennoch recht friedlich daherkommt. Dann erscheint auch schon Pastor Manders, der freidenkerische Schriften zerreißt, die so gar nicht in sein Weltbild passen. Na was solls, hier passt bald gar nichts mehr. Es dauert nicht mehr lange, da sorgt Hagen Oechel, der brillant den Tischler Engstrang spielt, für die ersten Lacher. Er bequatscht im Berliner Dialekt und mit wenig Respekt den Pastor. Witwe Alving (Janine Kreß) beobachtet dies belustigt. Sie nimmt das Böse im Menschen nicht mehr hin. Wahrt für die Öffentlichkeit und ihrem heimgekehrten Sohn Osvald (Marek Harloff) dennoch den Schein. Abrechnen will sie mit dem Pastor. Das Geld ihres nichtsnutzigen, verstorbenen Mannes steckt sie in ein Kinderasyl, das am nächsten Tag eingeweiht werden soll. Pastor Manders soll die Eröffnungsrede für das Asyl halten, die voller Ehren für den verstorbenen Hausherrn ist. Doch bevor er diese Rede hält, will Witwe Alving ihn aufklären über das „ehrenvolle“ Leben ihres Gatten.

Alle kommen in ihren schwarzen, zeitgenössischen Kostümen schon gespenstisch daher, der einzige, der Weiß trägt, ist Osvald. Der heimgekehrte Maler ist der einzig nicht schuldbeladene in der Runde, auch wenn seine Heimkehr die Fassade einstürzen lässt. Seine Mutter will ihre ganze Liebe dem Sohne schenken und er weckt, ohne es zu wollen, in ihr jene Gespenster, die sich unter der Oberfläche des Bürgerlichen und des Pflichtbewusstseins versteckt hielten. Die sich anbahnende Liebe zwischen dem Hausmädchen Regine und dem Sohn muss sie verhindern. Denn die beiden sind, ohne es zu wissen, Halbgeschwister. Regine, die sich bis dahin Osvald auch gerne hingegeben hätte, fällt nun aus ihrer Rolle des sonst so stummen, dienenden Hausmädchens. Sie schreit die Hausherrin an und verlangt nach dem Baum, den sie gerade pflanzte. Osvald, der sich bis dahin quälte, war er doch krank heimgekehrt, sah in Regine die Hoffnung, die Erlösung. Diese Hoffnung wurde von der Mutter zerstört. Jetzt will er sterben und die Mutter ihre ganze Liebe dem Sohn schenken. Er begräbt sie lebendig, gibt damit der eigenen Leere und Wut Ausdruck und die Mutter steht auf und wird damit zu Osvalds Gespenst. PAUSE.

Perspektivenwechsel im großen Saal. Jetzt sieht man das Gefängnis der Familie mit einiger Entfernung. Mann muss auch nicht mehr drin sein. Noch ist der Schein gewahrt, wir sind jetzt im ersten Akt. Noch hält Helene Alving die Fassade aufrecht, hört sich die Vorwürfe des Pfarrers geduldig an. Um dann auszuteilen. Wenn man sie eine schlechte Mutter schimpft, so hat man von ihrem Leben eben nie viel wissen wollen. Sie rechnet ab und befreit sich mit Schreien und toben. Während vor ihr, im Wasser, durch Osvald und Regine, die Gespenster auferstehen.

Zweieinhalb Stunden wohnte man an diesem Abend der Zerstörung einer Familie und der Befreiung aus Ketten bei. Borgmann inszenierte wirkt schaurig, durch wenig Licht und dunkle Kostüme. Auch wenn sich Borgmann, bis auf die veränderte Reihenfolge, texttreu zeigte, war dieser Abend nicht konservativ. Das Familiendrama war intensiv. Die Zerrissenheit der Protagonisten berührend. Der Blick hinter die Fassade vernichtend. Dass man auch lachen durfte, war nur recht und billig, schließlich ist schnell verurteilt und auf Idealen rumgeritten, ohne sich für die Wahrheit zu interessieren. Autoritäten bröckeln an diesem Abend. Der Mikrokosmos der Familie wird durch den Perspektivenwechsel zum Makrokosmos. Ach wie schön friedlich aus einer anderen Perspektive doch alles daher kommt. Im Vordergrund schaurig geschminkte Musiker. Und Lichtblitze, wenn Helene Alving die Tür aufreißt um ihre Idylle einstürzen zu lassen. Und dann: ENDE. Ganz plötzlich. Es ist alles gesagt. Und was bleibt ist ein gelungener Abend, der aufwühlte, berührte, mitriss und am Ende die Erkenntnis, das nichts vorbei ist. Das dieses Ende erst der Anfang ist.

Gespenster

R: Robert Borgmann

Mit: Marek Harloff, Janine Kreß, Thomas Lawinky, Hagen Oechel, Linda Pöppel

21. Dezember 2012, Centraltheater


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