Beeindruckend, geistig anregend und sehr anspruchsvoll: Margarethe von Trottas „Hannah Arendt“ mit Barbara Sukowa
1960 wurde Adolf Eichmann in Argentinien durch den israelischen Geheimdienst gefangen genommen. Es folgte 1961 in Israel ein öffentlicher Gerichtsprozess, in dem er von der israelischen Justiz für seine Vernichtungspolitik während des Zweiten Weltkrieges zur Rechenschaft gezogen wurde. Anders als durch die israelische Öffentlichkeit und Justiz gefordert, übernahm Eichmann keine Verantwortung für seine Verbrechen. Eine Beobachterin des Eichmann-Prozesses war Hannah Arendt. Im Auftrag des New Yorker und mit dem persönlichen Interesse einer jüdischen Exilantin, ehemaligem Internierungsopfer aber auch Philosophin stellte sie sich dem „Monster Eichmann“.
In Hannah Arendt spürt Margarethe von Trotta dem Wesen dieser hoch intellektuellen Professorin aus New York nach. Sie verfolgt dabei das Leben und Wirken Arendts vor und nach dem Eichmann-Prozess. Sie erschafft darin das Porträt einer reifen Frau in ihren besten Jahren, die durch beeindruckend offene und konsequente Gedankengänge, ein unbezwingbares Selbstbewusstsein, akademische Abgehobenheit als Stilbild, aber auch als Ausnahmepersönlichkeit ihrer Zeit beeindruckt.
Von Trotta vermag es dabei im Besonderen eine authentische und kontroverse Form der Darbietung des Denkens Arendts zu erschaffen. Der Betrachter ist stetig darauf angewiesen mitzudenken, denn Trotta schenkt dem Zuschauer keine erklärenden Beiwerke wie einem Erzähler (z.B. einer Off-Stimme) oder durch Nebenpersonen vermittelte Erklärungen. Die Handlung wird auch vorrangig durch Dialoge entwickelt.
Wird die Figur Arendts in vielfarbiger Natur gezeichnet und ihre gesellschaftliche Rolle auch erklärt, so bleiben ihre Begleiter und Opponenten bis auf die engsten Freunde leider stereotyp und erhalten auch keine nähere Erklärung, was zum Beispiel ihre geistesgeschichtliche Bedeutung betrifft. Dies mag für einen Umriss der Kontroverse um Arendts Eichmann-Bericht ausreichen, wird aber dem eigentlichen zeitgenössischen Diskurs um Arendts Position nicht gerecht.
Barbara Sukowa als Hannah Arendt besticht dabei, trotz ihres gehobenen Alters, durch eine gelungene Darstellung der Philosophin. Sie füllt ihre Figur mit eindrucksvoller Rhetorik und angemessener Körpersprache aus. Die Musik untermalt die Handlung stimmig und direkt. Die Bildsprache ist eher dokumentarischer Form und verzichtet auf symbolische Einstellungen oder Bildelemente. Im Setting ist von Trotta eine besonders spannende Dokumentation der Lebenswelt der amerikanischen und israelischen sechziger Jahre gelungen. Das überhobene Gebaren der Universitätsprofessoren, die fast intimen Sitzrunden der Studenten mit ihrem verehrten Dozenten, das stilvolle und aggressive Miteinander der gebildeten Oberschicht und daneben die familienbezogenen und verletzlichen Juden ergeben ein spannendes Bild sich divergierender Kulturen. In welcher Arendts Anspruch nach Souveränität und Freigeist dessen Grenzen aufzeigt.
Diese glaubhafte und detailverliebte Kulturstudie wird auch durch den größtenteils unkommentierten Einsatz von Originalmaterial aus dem Eichmann-Prozess in seiner dokumentarischen Qualität verstärkt. Dabei vermag es von Trotta fast jeglichen voreingenommenen Blick zu vermeiden und die betroffenen Personen und sozialen Kreise in für die Rahmenhandlung angemessener Form zur Sprache zu bringen. Die intellektuellen Kreise New Yorks genießen in der Darbietung von Trottas jedoch stärker ein Schattendasein. Sie werden gezielt abgewertet, möglicherweise so, wie Arendt sie selbst betrachtete. Insofern ist von Trottas Werk auch ein Stück Parteinahme.
Dem Zuschauer ist jedoch eine vorherige Auseinandersetzung mit Arendts Person und ihrem Umfeld anzuraten. Man braucht ein Vorverständnis für die dargestellten Personen und Kontexte, denn sie werden nur mit wenigen und leicht zu übersehenden Strichen gezeichnet. Auch der szenische Wechsel von Handlungen der erzählten Gegenwart und Hannahs Erinnerungen verläuft meist abrupt und erschließt sich nicht sofort. Diese anspruchsvollen Elemente der Darstellung stören zuweilen die ebenfalls anspruchsvolle Auseinandersetzung mit den zentralen Fragen des Filmes: Wer ist Hannah Arendt und wer ist Adolf Eichmann?
Somit ist von Trottas Werk ein beeindruckendes, geistig anregendes und hoch anspruchsvolles Kleinod biografischer Filmkunst, das es vermag, die Tiefe des Denkens dieser bedeutenden Politiktheoretikerin in den wichtigsten und für die Handlung bedeutendsten Züge reizvoll zu umreißen. Die bedeutenden Gegenwartsfragen nach dem Umgang mit Nationalsozialismus und wie Kritik an Israel zulässig sein kann, werden aufgeworfen. Von Trottas besonderes Verdienst ist es dabei, aus einer offenen und hoch komplexen Thematik ein geschlossenes filmisches Format mit starken Figuren und ansprechendem Spannungsbogen zu schaffen.
Hannah Arendt
Deutschland 2012, 113 Minuten
Regie: Margarethe von Trotta; Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen
Kinostart: 10. Januar 2013
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