Zack, die Rübe

Das Verdi-Jahr ist eröffnet: „Nabucco“-Premiere an der Oper Leipzig

Markus Marquardt als Nabucco, König von Babylon (Fotos: Kirsten Nijhof)

Manchmal fragt man sich, wie viel Luft den Dramaturgen bei der jährlichen Spielplangestaltung angesichts der vielen Jubiläen noch bleibt. Verdi und Wagner feiern 2013 ihren Zweihundertsten, folgerichtig (?) stehen in den Spielplänen der Opernhäuser dieser Welt Wagner und Verdi auf dem Spielplan. Was in Leipzig überrascht ist, weshalb man Verdi den Vortritt lässt, ausgerechnet in der Geburtsstadt des deutschen Opernübervaters Richard Wagner. Es sind diese Dinge, die irgendwie dann doch wichtig werden. Die erste Premiere 2013 der Oper Leipzig schon am 6. Januar, ja so läutet man das Verdi Jahr ein. Schnell entsteht der Eindruck, dass es sich eigentlich um eine Art sportliche Auseinandersetzung handelt, nach dem ewig gleichen (männlichen) Motto: Wer ist der Größte, wer ist der Schnellste, wer ist der Erste? Beflügelt werden solche Gedanken von den Interviewaussagen von Regisseur Dietrich W. Hilsdorf, in denen er seine Begeisterung für einen Nabucco gerade jetzt und hier in Leipzig gar nicht erst aufkommen lässt.

Wozu also Verdis frühe Oper heute und hier in Leipzig? Das Inszenierungsteam um Hilsdorf verweigert sich dieser Frage ein wenig. Die Geschichte um den zerstörten salomonischen Tempel, der 586 v. Chr. durch Nebukadnezar zerstört wurde, wird streng historisch ohne Bezüge zum Heute inszeniert. Der Bühnenhauptraum erinnert an das Innere eines Tempels (das riesige Oberlicht darin erinnert aber auch an Hilsdorfs Leipziger Miserere-Inszenierung). Eingestellt ist ein variables Bühnenportal – in Kombination mit auf einen Gazevorhang projizierte Kulissenmalerei wird teilweise das Innere eines alten Theaters der Entstehungszeit von Verdis Oper halluziniert. Hier entstehen spannende räumliche Situationen. Bühnenbildner Dieter Richters Vorliebe für Diagonalen im Bühnenbild werden in allerlei beweglichen Rampen und Tribünen deutlich. Die Kostüme bewegen sich irgendwo im Historischen, wobei der Chor sich eher in Paris des 19. Jahrhunderts und die Solisten sich im Barock bewegen. Man weiß es nicht so genau, weil es in der Inszenierung auch nicht so wichtig ist.

Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierungsidee geht dahin, das Stück in seiner Entstehungszeit zu verorten, er hat sich ausgiebig mit der Vorlage des Librettos von Temistocle Solera dem Melodram von Auguste Anicet-Bourgeois und Francis Cornu sowie mit dem Ballett Nabucodonosor von Antonio Cortesi beschäftigt. Und hier wird es dann doch interessant. Fenena, Tochter des Nabucco trifft wegen ihres Liebesverhältnisses zu Ismaele zum hebräischen Glauben über, soweit das Libretto. In der Leipziger Inszenierung soll sie deshalb sterben. In Hilsdorfs Inszenierung ist das der dramaturgische Höhepunkt. Das Henkersbeil fällt gleichzeitig mit einer blutbesudelten Leinwand, irgendwoher kullert Fenenas Kopf in Nabuccos Hände. Effektvoll inszeniert ist das und durch das anschließende Wunder der unversehrten Fenena auch inhaltlich der Kulminationspunkt der Inszenierung. Nabucco der Babylonier hat in verachtendem Größenwahn den salomonischen Tempel zerstört und sich selbst zu Gott erklärt, darauf hin verfällt er der Geisteskrankheit – Hochmut kommt vor dem Fall, so einfach ist das. Doch die Idee Gottes ist größer, Fenena seine Tochter darf weiter leben. Man fühlt sich ein wenig an Salome erinnert und hier besonders an Peter Konwitschnys Inszenierung in Amsterdam. Auch dort kullerte ein Kopf über die Bühne, aber Jochanaan durfte weiterleben und mit Salome im Bühnenhintergrund als Liebespaar verschwinden. Zwei etablierte Regisseure mit deutlichen Signalen an eine optimistische Zukunft, wenn das kein Zufall ist.

Musikalisch bewegte sich der Premierenabend auf höchstem Niveau. Verdis wohl berühmtestes Musikstück, der Gefangenenchor, gerät dem verstärkten Opernchor in einer atemberaubenden Transparenz. Großartig, wie da die fast 80 Sängerinnen und Sänger am Orchestergraben stehend den Aufschrei des gefangenen jüdischen Volkes skandieren. Großartig auch das Gewandhausorchester unter Anthony Bramall. Welches Orchester ist schon in der Lage die Soli der Celli und Flöten versteckt im Graben sitzend in solch einer kammermusikalischen Präsenz zu musizieren, dass sich einem die Nackenhaare aufstellen. Im Kontrast zu den Orchestertuttis und den Massenszenen schillert hier die Brillanz von Verdis Partitur. Markus Marquardt als Nabucco kann erst später als geisteskranker König die volle Präsenz seines Bassbaritons entwickeln. Arutjun Kotchinian als Zaccaria glänzt eher in den lyrischen Stellen, etwa beim Übertritt Fenenas zum jüdischen Glauben. Gaston Rivero strahlt kraftvoll in der Partie des Ismaeles. Die beiden Damen Jean Broekhuizen und Amarilli Nizza geben dem Schwesternpaar Fenena und Abigail einen wohlklingenden und farbenreichen Auftritt. Nizzas Bühnenpräsenz steigert sich stetig – und in den tiefsten Abgründen des Hasses, scheint sie sich am wohlsten zu fühlen. Ein Abend mit kleinen Überraschungen und viel großer Musik. Ein Abend, der niemandem wehtut, aber durch die plötzliche Nähe zu Strauss´ Salome dann doch noch für Gesprächsstoff sorgt.

Nabucco

von Giuseppe Verdi

Oper in vier Teilen Text von Temistocle Solera
Musikalische: Leitung Anthony Bramall
Inszenierung: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Renate Schmitzer
Dramaturgie: Marita Müller

Mit: Markus Marquardt, Amarilli Nizza, Gaston Rivero, Jean Broekhuizen, Arutjun Kotchinian, James Moellenhoff, Keith Boldt, Olena Tokar
Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig
Gewandhausorchester

6. Januar 2013, Oper Leipzig


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