Briefe an die Arbeitslosen von Morgen

Für ihren Dokumentarfilm „Der Große Irrtum“ haben Dirk Heth und Olaf Winkler prekär lebende Bewohner einer ostdeutschen Gemeinde begleitet. Zwischen Kamera und Protagonisten entsteht eine beeindruckende Intimität

Was ist der Mensch, wenn er nicht malocht? Weniger wert? (Fotos: Contract 99)

„Arbeit für Alle!“ Das ist für die Menschen in Eggesin und ihren Bürgermeister nicht nur ein hohler Politik-Slogan, sondern reelles Ziel, das in die Tat umgesetzt werden soll. Ganz nah kommen wir den Eggesinern dabei, die ihren Alltag und Lebensunterhalt ganz selbstverständlich mit einer Einstellung bestreiten, die in keinem Job-Center vermittelt wird. Der Große Irrtum. Vom Wert der Arbeit versucht sich auf einer sehr persönlichen Ebene der Frage zu nähern, in welchen Wertekosmos sich Arbeit für den Einzelnen und die Gesellschaft platziert.

Sein subjektiver Blick, die unmittelbare Involviertheit der Filmemacher Dirk Heth und Olaf Winkler, die Nähe zu den Porträtierten ohne erdrückend oder aufdringlich zu sein ― das sind die großen Stärken des Films Der große Irrtum. Der Film, der auf der Leipziger Dokfilm-Woche seine Weltpremiere feierte, dort den Preis des Leipziger Rings bekam und nun noch einmal in der „Black Box“ im Kafic gezeigt wurde, verhandelt über dem politischen Reizthema Arbeitslosigkeit hinaus tiefer gehende Fragen: Woran orientiert sich der Wert eines Menschen in der heutigen Gesellschaft? An seinem Marktwert? Was ist, wenn dieser gleich Null beträgt? Was ist mit Arbeit, die keinen direkt wirtschaftlichen Nutzen hat, wie Kulturarbeit oder Bildung?

Als Ausgangspunkt dient hier Eggesin, eine wie viele andere Städte in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Es werden über den Zeitraum von vier Jahren Menschen aus Eggesin gezeigt, die es nicht in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt geschafft haben und sich mit prekären Arbeitsverhältnissen und deren Verdiensten über Wasser halten. Und die darüber hinaus ihre eigene Vorstellung davon entwickelt haben, was es bedeutet für andere nützlich zu sein. Daraus entspinnt sich auch der Gedanke der Bürgerarbeit, den die Regisseure zu verfolgen beginnen. Ein umstrittenes Konzept, das im Film eher in Schlagworten und in den Biografien der Protagonisten zum Vorschein kommt. Im Kleinen und Großen, über den Lebensweg von Kommunal- und Bundespolitikern wird deutlich, wie wenig Interesse besteht und wie schwierig es ist, bestehende Denkstrukturen über Arbeit und Entlohnung zu ändern.

Wie im Urlaub, diese schöne neuen Arbeitswelt

Da als Brief an die eigenen Kinder gerichtet, wird auch der persönliche Lebensweg der Regisseure nicht ausgelassen. Erkenntnisse, Erlebnisse und bittere Eingeständnisse in Eggesin und anderswo fließen mit in die Erzählung ein und formen den Gedankenweg, den die Regisseure über mehrere filmische Kapitel gehen. Durch den Einbezug ihrer eigenen Biografie kratzt das Thema, trotz Allgemeinplatz-Gefahr, nicht nur an der Oberfläche. Die Intimität, die sich zwischen der Kamera und den Protagonisten entwickelt, holt, im Gegenteil, das Essenzielle aus der Thematik heraus: Es geht um Menschen und ihr Versuch in dieser Gesellschaft unter den gegebenen Bedingungen ihr Leben zu meistern. Für die Regisseure kristallisiert sich die Frage heraus, was dabei der Zusammenhang zwischen dem Wert der Menschen und ihrer Arbeit ist. Dass es zum Menschsein nicht allein reicht, Teil des ersten Arbeitsmarktes zu sein, wird schnell klar.

Auch wenn die Erzählung zuweilen etwas kryptisch erscheint, Zeitebenen nicht deutlich und Verbindungen zwischen Thematik und Protagonisten nicht immer gezogen werden, so bleibt die Bildsprache dabei umso klarer. Sie bildet eine Parallelwelt zum Text und wirkt durch die Montage mit Fotografien umso eindringlicher. Dass die beiden Regisseure von Beruf her Kameramänner sind, merkt man.

Der Große Irrtum ist ein leiser Film, der durch die Widmung an die eigenen Kinder die zukünftige Brisanz der Thematik spürbar werden lässt. Die Schlusseinblendung des Films macht das ganz klar: Die UN hat prognostiziert, dass in den nächsten zehn Jahren weltweit 600 Millionen Arbeitsplätze gebraucht würden.

Der Große Irrtum

Deutschland 2012, 105 Minuten

Regie: Dirk Heth und Olaf Winkler; Mitwirkende: Diana Körtge, Marion Mertin, Irina Neupert, Helga Westholm, Rainer Bomba, Dennis Gutgesell, Lutz Gutgesell

16. Januar 2013, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Café Kafič

Website zum Film

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