Auf zum Mars

Nur weg hier! Im neuen TdJW-Stück „Das Marstraining“ sollen Probleme am liebsten hinterm Mond verschwinden

Fotos: Frank Schletter

Chico und Peanut sind genervt von der Schule und auch Zuhause gibt es für sie nur Stress. Als die beiden ungleichen Jungs sich in der Schule zufällig treffen und anfreunden, erzählt der Streber Peanut dem Draufgänger Chico von einer Nachricht, die er neulich im Radio gehört hat: Ein Raumschiff soll landen, in ihrem Ort, oben auf dem Berg. Prompt ist ein Plan gefasst, sie wollen sich von den Aliens mitnehmen lassen und so ihren Sorgen entfliehen. Den Vorbereitungen für ihre Marsreise können die Zuschauer im Theater der Jungen Welt in dem Stück Das Marstraining folgen, welches am 19. Januar Premiere feierte. Regisseurin Katja Lehmann, die am TdJW bereits Werther und Schwarze Jungfrauen inszenierte, legte bei ihrem neuen Stücke vor allem Wert auf eine starke Bildsprache und weniger auf große Worte.

Das Marstraining soll vor allem junge Menschen ansprechen, die an der Schwelle zur Pubertät stehen, wie eine Information zum Stück erklärt. Angelegt ist die Inszenierung aus diesem Grund auch für Jugendliche ab 12 Jahren, doch die verhandelten Probleme und Auswirkungen scheinen bisweilen etwas zu hart für Zwölfjährige. Bewegen sich die Handlungen der beiden Jungs, die sich auf ihre Reise zum Mars durch Mutproben und Krafttraining vorbereiten, anfangs noch in einer mehr oder minder harmlosen Dimension, verdichten sie sich im Laufe des Stückes zu unwiderruflichen Fehlern. So schreck Chico (Martin Klemm), der aus einer sozial schwachen Familie mit vielen Problemen kommt, nicht davor zurück, von seiner gestohlenen Schusswaffe Gebrauch zu machen. Gemeinsam beschädigen die beiden nicht nur fremdes Eigentum, sondern verletzen und gefährden durch unüberlegten Handlungen sich selbst und andere Menschen.

Das Bühnenbild ist einfach gehalten und kommt mit wenig aus. Zentrum der Handlung bildet ein mit Frischhaltefolie überzogenes Metallgestell, welches an ein Raumschiff erinnert und das Geheimversteck der beiden ist. Von dort aus planen sie ihre baldige Reise und sprechen über Probleme, die sie mit Familie und Schule haben. Chicos Mutter ist alkoholkrank, sein Bruder wegen Drogenhandel im Gefängnis. Peanut (gespielt von Gastschauspieler Florian Denk) hingegen wächst in einer bessergestellten Familie auf, hat allerdings eine behinderte Schwester, die bald in ein Heim abgeschoben werden soll. Um das zu verhindern, beschließen sie, die Schwester einfach mitzunehmen, wenn die Aliens kommen. Das wiederum führt zu neune, ungeahnten Problemen.

Ein Highlight stellt eben diese Schwester dar. Gespielt von Cynthia Friedrichs verbirgt sich das geistig und körperlich behinderte Mädchen Sylvie hinter der mit weißer Folie abgehangenen Bühnenwand. Im Laufe des Stückes wird die Folie jedoch aufgeschnitten und es zeigt sich ein verstörendes Bild: Das bleiche Mädchen, mit einer Zwangsjacke fixiert, hängt an Bändern befestigt im Raum. Durch den Einsatz verschiedener Effektgeräte erzeugt sie Geräusche, die an außerirdische Funksignale erinnern. Und auch wenn die drei Jungs neben mir im Publikum sich leise „Oh, cool“ zuflüstern, kann man nicht leugnen, dass auch sie sich gruseln vor diesem Anblick.

Das Marstraining ist vor allem ein Stück, das die Flucht vor Problemen thematisiert. Vieles in der Handlung bleibt offen, und das ist gut, denn so lässt es Raum für Interpretationen und bietet eine Diskussionsgrundlage. Egal ob mit den Eltern oder Lehrern, nach dem Besuch des Stückes ist es wohl unumgänglich, das Gesehene nochmals zu thematisieren. Und vielleicht macht gerade das den Wert der Inszenierung aus.

Das Marstraining

Von Nathalie Boisvert. Aus dem kanadischen Französisch von Frank Heibert

Regie: Katja Lehmann

Bühnenbild: Vera Koch

Kostüme: Doreen Winkler

Sounddesign: Hannah Schwegel

Video: Katja Lehmann, Vera Koch, Doreen Winkler

Mit: Florian Denk, Cynthia Friedrichs, Martin Klemm

Theater der Jungen Welt, 19. Januar 2013


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