Vom Überdenken der Konventionen

Lisa Günther hat für die Werkstattbühne im Lofft Nicky Silvers Komödie „Fette Männer im Rock“ inszeniert. Im Interview mit Almanach-Autor Fabian Stiepert spricht sie über die Tücken der Regiearbeit und den Sinn und Zweck von Theaterkollektiven

Regisseurin Lisa Günther

Leipzig-Almanach: In den Ankündigungen zu deiner aktuellen Regiearbeit „Fette Männer im Rock steht, dass es sich um eine Produktion von „Von und Über“ handelt. Wer steckt hinter „Von und Über“?

Lisa Günther: „Von und Über“ ist ein Regiekollektiv, gegründet von mir und Christopher-Fares Köhler (Christopher-Fares Köhler wurde früher namentlich in den „Von und Über“-Produktionen unter Christopher Köhler geführt. Um der „Etablierung des Doppelnamens“ nachzukommen sei hiermit ausdrücklichlichst darauf hingewiesen, Anm.d.Red.). Wir haben uns schon vor längerer Zeit gedacht, dass es sinnvoll wäre eine Gruppe zu gründen, so dass man in einem festen Rahmen miteinander arbeitet, aber auch immer wieder Gäste und Freunde dazuholt. Die grundlegende Idee dazu hatten wir nach unserer ersten gemeinsamen Regiearbeit für „Angriffe auf uns“ (s. Leipzig Almanach vom 25.4.11, Anm.d.Red.), weil wir gemerkt haben, dass es an der Zeit wäre die Theaterarbeit organisierter zu betreiben. Da Christopher mittlerweile in Berlin lebt und ich in Leipzig, ist die Arbeit momentan etwas schwierig, trotzdem planen wir weitere Projekte in den verschiedensten Konstellationen. Normalerweise führen wir beide Regie, aber bei „Fette Männer im Rock“ spielt Christopher selbst mit und auch in unserem nächsten Stück wollen wir die Verteilung der Arbeitsbereiche offen lassen.

Leipzig-Almanach: Welche Chancen versprecht ihr euch von diesem Kollektiv und welche Ziele verfolgt ihr?

Lisa Günther: Eine der hauptsächlichen Chancen besteht darin, dass wir sehr harmonisch zusammenarbeiten können. Jetzt, wo die Atmosphäre zur gemeinsamen Arbeit so harmonisch ist, möchte man das auch nur ungern wieder aufgeben. Wir sind natürlich auch darauf aus weitere Stücke zusammen realisieren zu können. Außerdem wird „Fette Männer im Rock“ auch auf dem 100Grad-Festival in Berlin zu sehen sein. Vielleicht ergeben sich aus der Kollektivarbeit noch weitere Gastspiele in Leipzig, Berlin und dem Rest von Deutschland.

Leipzig-Almanach: Wie kamst du darauf Nicky Silvers „Fette Männer im Rock“ zu inszenieren?

Lisa Günther: Der Stücktext wurde mir vor Jahren einmal in die Hand gedrückt. Als ich Silvers Stück gelesen habe, fand ich vor allem die Figurenkonstellation sehr spannend. Die Figuren im Stück legen sich selbst eine Art Maskerade auf, um sich bloß nicht entblössen zu müssen. Diese Art der Maskerade, gerade in einer Familie, hat mich schon bei „Der Zementgarten“ (vgl. Leipzig-Almanach 20.02.12, Anm. d. Red.) gereizt. Thematisch gesehen ist „Fette Männer im Rock“ fast schon so etwas wie eine Fortsetzung in überspitzter Form zur letzten Inszenierung. Bei „Fette Männer im Rock“ kommt neben dem abgründigen Bösen noch das Hochkomische dazu, was mir sehr gefallen hat.

Leipzig-Almanach: Wo liegen die Schwierigkeiten und Stolpersteine in der Inszenierung von Silvers sehr absurdem Stück?

Lisa Günther: Auch hier spielt die Maskerade und Ungreifbarkeit der beiden Hauptfiguren Phyllis und Bishop eine Rolle. Wir wollten da natürlich nicht von Anfang an festlegen, wie man das auf der Bühne transportiert, trotzdem ist die Annäherung an dieses Thema in der Inszenierungsarbeit erforderlich. Das mögliche Potenzial dieser Hauptfiguren ist natürlich immens, muss aber auch auf den Punkt gebracht werden. Also schaut man beispielsweise ganz genau bei der Mutterfigur, die sich über Äußerlichkeiten definiert, wieso sie so agiert, wie sie in ihrer Oberflächlichkeit agiert und wo die Momente der Authentizität in ihrer Maskerade sind.

Leipzig-Almanach: Die Handlung von „Fette Männer im Rock“ ist auch herrlich absurd und erzählt unter anderem eine inzestuös verlaufende Robinsonade. Wie geht man da vor, damit der Zuschauer bei aller Absurdität nicht den Faden oder im schlimmsten Fall vor lauter Überforderung die Aufmerksamkeit verliert?

Lisa Günther: Wir haben es uns herausgenommen offen zu lassen, ob die Handlung wirklich in der Realität stattfindet oder ob es sich um eine Fantasie des Sohnes handelt. Die Geschichte soll damit möglichst neutral erzählt werden und dem Zuschauer ist die Entscheidung selbst überlassen, was denn nun zutrifft. Deshalb liegt auch der Ablauf der Geschichte teilweise in der Hand des Sohnes Bishop, so dass es letztlich eine Groteske ist, die sich bis zum Höhepunkt immer weiterentwickelt.

Leipzig-Almanach: Silvers Stück handelt auch von Kannibalismus und Inzest. Wie kann man diese an sich grausamen Themen komödiantisch inszenieren?

Lisa Günther: Die beiden von dir genannten Themen sind natürlich die mit Abstand am wenigsten komischen Elemente in Silvers Stück. Der Kannibalismus stellt für die Figuren Phyllis und Bishop die einzige Möglichkeit des Überlebens auf der einsamen Insel dar. Tragischerweise wird das Essen von Menschen für den Sohn zur Normalität. Der Inzest im Stück ist vorrangig deshalb so böse und abgründig, weil er im Rahmen einer Mutter-Kind-Beziehung verhandelt wird, die derartig absurd erscheint, dass man darin keine Komik mehr herauskitzeln muss.

Leipzig-Almanach: Also haben das Böse und das Komische jeweils gleichberechtigt ihren Platz in diesem Stück?

Lisa Günther: Man muss das natürlich auch so sehen: Was ich als abgründig und böse empfinde, kann natürlich ein anderer auch wieder als hochkomisch empfinden. Die Absurdität kann hier auch dafür sorgen, dass manches bei aller Grausamkeit doch wieder lustig wird. Lachen kann ja auch eine Reaktion sein – aus der Überforderung heraus.

Leipzig Almanach: Was darf der Zuschauer von diesem Theaterabend erwarten?

Lisa Günther: Das Stück ist ein guter Anreiz, um über die Konventionen und Moralvorstellungen nachzudenken, die in unserer Gesellschaft vorherrschen. Das ist auch einer der Knackpunkte des Stückes: Inwiefern werden wir von der Gesellschaft gemacht und geformt und inwieweit nehmen wir das an und denken darüber gar nicht mehr nach. Es gibt in dem Stück Momente, bei denen ich denke, dass sie einem zu denken geben sollten, vor allem wenn die Figuren sich beispielsweise völlig entgegengesetzt zu dem verhalten, was man eigentlich erwarten sollte und auf diesem Wege Konventionen aufeinanderprallen. Daneben geht es bei Nicky Silver auch darum, welche Autonomie man in der Gesellschaft hat, was die Zuschauer auch an der Figur der Phyllis erkennen können. Das Aufeinandertreffen von Abziehbildern wie Phyllis und Individuen sorgt auch für die Reibungsfläche, die die Figuren haben. Zumal Phyllis ein Leben lang die Rolle der divenhaften Hausfrau und Mutter spielen musste, hat dieses Verhalten bei ihr schon etwas Zwanghaftes, was nicht mehr aufzulösen ist. Die Wut darüber, in so einem Zwang gefangen zu sein, macht die Mutterfigur für mich maßgeblich aus und lässt eine Spannung entstehen, die ich sehr interessant finde.

Fette Männer im Rock

Eine Produktion von „Von und Über“ in Zusammenarbeit mit Werkstattmacher e.V. und dem Lofft Leipzig

Regie/Bühne: Lisa Günther, Kostüm: Liese Endler, Assistenz: Christin Rakete, Dramaturgie: Alexandra Hennig, Darsteller: Tim Josefski, Caroline Kaiser, Christopher Köhler, Julia Pohl Werkstattmacherinnen Mirjam Hildbrand, Alexandra Hennig

Auführungen: Am 28., 29. und 30. Januar auf der Werkstattbühne im Lofft, jeweils um 20 Uhr. Am 22. Februar um 18 Uhr auf dem 100°-Festival in den Berliner Sophiensälen. Und am 28. Februar sowie am 1. und 2. März jeweils um 20 Uhr in den Cammerspielen Leipzig


Ein Kommentar anzeigen

  1. PR für Laientheater machen, ist ja ok. Aber jede Inszenierung dieser Gruppe (deren Mitglieder auch Autoren dieser Seite sind) mit Interviews und Nachbesprechungen zu supporten, hat ein gewisses Geschmäckle. Was ist für Euch relevant? Stücke eurer eigenen Leute und Freunde zu pushen oder wirklich kritischen Kulturjournalismus betreiben?

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