Eben mehr Frankfurter als Hamburger Schule

„Ja, Panik“ laden ins Centraltheater – mit Tanzverbot und zwiespältigem Support

Fotos: Centraltheater

Lange Kulturabende können bisweilen etwas sehr Angenehmes sein. Beschränkt sich die Kurzweil während eines vierstündigen Konzertereignisses jedoch auf die vom Sänger der Hauptband offen zur Schau gestellte Angeödetheit über die Ödnis jenes Ereignisses, dann hat das etwas Sarkastisches. Gekommen war man ins Centraltheater, um mit dem Auftritt von Hans Unstern, Die Heiterkeit und Ja, Panik das Potential junger deutschsprachiger Gitarrenmusik seit Tocotronic und Blumfeld zu begutachten.

Von Beginn an achtet eine öminöse „Crew“ am Rande der Sitzreihen penibel auf die gemeinschaftlich einzuhaltende Ordnung. An der Seite stehen ist diesmal strengstens untersagt und führt zum sofortigen Verweis auf Fluchtweg, Recht und Gesetz. Dass so die Option zum Flüchten offen gehalten wird, erweist sich indes bereits nach einigen Minuten der routiniert gelangweilten Verspieltheit, mit der Hans Unstern und seine Band den Saal füllen, als nette Geste. Das von des Sängers auffällig hoher Stimme begleitete Geschwurbel aus dadaistischer Performance und solide verworrenem Liedermachertum wirkt leider angestrengt sympathisch. Mit ihrer gewollten Seltsamkeit erreichen die hippiesken Protagonisten inmitten des wirklich charmanten, Bar25-liken Arrangements aus beleuchteten Ballons, Instrumenten- und Gegenstandshaufen im Grunde nur, dass man sich über ihren forcierten Mindfuck unterhält. Inhaltlich gibt es nicht viel zu sagen, auf der Bühne jammerts und jammts. Dass postmoderne Collagen aus Ton und Text tatsächlich auch Aussagen vermitteln könnten, die jenseits reproduzierter und durch den Fleischwolf gedrehter Allerweltsemotionen angesiedelt sind, hat Hans Unstern leider niemand gesagt. Den Akteuren auf der Bühne und ihren Zuhörern ist das freilich herzlich egal, repräsentieren sie doch die nicht-elektronische Sparte jener Kultur des neoromantischen Einfach-so-da-Seins, der jeder Begriff der sie umgebenden Welt abgeht. Wo Distinktion alles zählt, möchte man anders sein, ohne die tiefer liegenden Rollen und Muster auch nur je anzuzweifeln.

Nach der Pause die Hoffnung, dass mit der Hamburger Band Die Heiterkeit im zweiten Teil des Konzerts nun echter Diskurspop aufgefahren wird. Anfangs wirkt die Kombination aus lakonischem Gestus und dem mit Stella Sommers wunderbarer Stimme vorgetragenen schleppenden Gesang auch wirklich reizvoll. Drei plakativ desinteressierte Frauen, drei plakativ innovationslos gespielte Instrumente – das funktioniert im Grunde hervorragend. Wären da nicht die Texte, auf die man zu achten angesichts der latenten Lameness der Musik ja gewissermaßen gezwungen ist. Unendlich ausgeleierte Themen, unkritisch wiedergegebene Allgemeinplätze, einfallslos gereimte Plattitüden. Mit ein wenig gutem Willen geht auch das alles als absichtlich und ironisch durch. Doch dann wird diese furchtbare Attitüde augenfällig, mit der die Eigenschaft, ein „böses“ und „schmutziges“ Mädchen zu sein, besungen und präsentiert wird. Wo bitte soll sich dieses im Kleidchen vorgetragene direkte Äquivalent zum „braven Mädchen“ von den klassischen stereotypen Verhaltensweisen unterscheiden, denen sich auch erwachsene Frauen Tag für Tag unterwerfen? Und obwohl sie durch diese Art von Text und Habitus mode- und sozialisationstechnisch genau da abgeholt werden, wo sie sich mit ihren Blumenzöpfen und Bärten befinden, langweilen sich die verhipstert abgeranzten Kinder des Bildungsbürgertums in den Sitzen. Und warten auf Ja, Panik.

Sänger Andreas Spechtl ist von Anfang an zu Recht irgendwie genervt. Die Begrüßung fällt verhalten aus, der Wiener Akzent wirkt wie immer wahnsinnig feingeistig. Naive Inhaber weniger beliebter Dialekte könnten durchaus an die Unmöglichkeit glauben, mit diesem Idiom etwas hässlich Klingendes zu sagen. Vielleicht ist Spechtl ja auch genervt, weil alle Rezensenten immer wieder die Herkunft der Neuberliner Band zur Sprache bringen. Auch wenn das mehr als nachvollziehbar wäre – die Ursache findet sich wohl eher in der stickig-verspießten Luft, die im Saal wabert. Da das Tanzverbot eine benötigte Energieabfuhr seit Stunden verhindert, legt sich scheinbar eine kollektive Müdigkeit über die Reihen. Trotz allem präsentiert die Band ein fein ausgesuchtes Repertoire ihrer vier Alben, die facettenreiche Vereinigung von intellektuellem Diskursrock, Achtziger-Jahre-Reminiszenzen und politischem Postpunkschnörkel ist in der Tat auch live ein Genuss für alle aufmerksamen und bislang zum Dürsten nach mehr verdammten Rezipienten innovativer, kritischer und kluger Musik – welche leider noch immer oft unter dem fürchterlichen Label „Hamburger Schule“ gehandelt wird. Allein: dazu bewegen, tanzen, springen? Unmöglich.

Es bleibt die eigenartige Begutachtung eines eigentlich unterhaltsamen Popkonzerts in gänzlicher Regungslosigkeit. Genug Zeit, meint man, sich auf die vielschichtigen Aussagen der Band zu konzentrieren. An einer Stelle reckt Spechtl trotzig die geballte Faust in die Luft. Doch ist man geneigt zu vermuten, dass das Publikum von der eigentlichen Intention, welche die kritisch-theoretisch geschulte Band als Musiker, Denker und Autoren umtreibt, kaum einen Schimmer hat. Dass ihre Gesellschaftskritik mehr leistet als lediglich moralischer Appell an das Gewissen oder verkürzte Verurteilung irgendwelcher personifizierter Schuldtragender zu sein, bekommt an diesem Abend kaum jemand mit. Mit subtil-ironischem Unterton lobt Spechtl das vor ihm und durch ihn stattfindende Sitzkonzert. Nachdem er betont hat, wie „gnädig“ das zur Zugabe klatschende Publikum sei, singt er das neben „Evening Sun“ beste Stück des Abends. In „Nevermind“ heißt es: „Vielleicht weil es dich nur als den einen gibt, hinter dem das Viele liegt, bist du fürchterlich verängstigt“. Eben mehr Frankfurter als Hamburger Schule. Auch wenn es nicht so viele mitbekommen.

Hans Unstern / Die Heiterkeit / Ja, Panik!

23. Januar 2013, Centraltheater


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  1. Hallo Max,

    finde deinen Artikel vielschichtig und gut. Nur den Rezipierenden argumentationslos zu unterstellen, sie würden nichts von der tieferliegenden Kritik mitkriegen, finde ich problematisch. Auch, wenn du Recht haben magst. Liebe Grüße.

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