Kümmerliche Kummerkastentante

Der Manesse Verlag hat Nathanael Wests kleinen, aber feinen Roman „Miss Lonelyhearts“ in einer Neuübersetzung aufgelegt

Wer die Literatursparte des Leipzig-Almanach im vergangenen Jahr aufmerksam gelesen hat, der erinnert sich unter Umständen noch an die Besprechung des Buches mit dem reißerischen Titel Interview mit dem Tod von Radiotalker Jürgen Domian (vgl. Leipzig Almanach 15.5.12). Nun gibt es aber solch in die Öffentlichkeit getragene Seelsorgerei nicht erst seit den Zeiten der Nachmittagskrawalltalkshow in den 1990ern. Der 1940 im Alter von gerade einmal 37 Jahren verstorbene Nathanael West hat bereits 1933 einen Roman über eine fiktive Zeitungskolumne verfasst, in der Leid geplagte New Yorker von der titelgebenden Miss Lonelyhearts hinsichtlich ihrer Sorgen und Nöte anonym beraten werden. Bevor also jeder Normalo zum Talkgast werden konnte, wendete man sich zumindest in den USA an das vorherrschende Printmedium.

Um diese Tatsache überhaupt einer Romanhandlung würdig zu machen, bedarf es naturgemäß gewisser Problematiken. So ist Miss Lonelyhearts keine weibliche Kolumnenschreiberin, sondern ein Neuling bei der New Yorker Post-Dispatch, der für die Beantwortung der Leserbriefe seitens seiner Kollegen nur Spott und Hohn erntet. Zudem leidet der Mann, der sich hinter Miss Lonelyhearts verbirgt, an einer schier unüberwindbar erscheinenden Schreibblockade. Weniger Motivation kann man in diesem Job gar nicht haben. Zugleich stelle man sich vor, dass der eingangs erwähnte Jürgen Domian von heute auf morgen keine Ratschläge mehr für seine Anrufer parat hätte. So bleibt dem verzweifelten Kolumnisten in Wests Roman kein anderer Ausweg, als sich in einen religiösen Wahn hineinzusteigern und sein Heil in Suff und Sex zu suchen. Ein Absturz ganz ohne Happy End oder karthatischen Moment, wie er sich für richtige Verlierertypen nun einmal gehört.

In Zeiten von gescripteten Reality-TV-Formaten und unabbrüchlich grassierendem religiösen Wahnsinn ist und bleibt Wests bitterböser wie satirischer Roman auch 80 Jahre nach seinem Erscheinen weiterhin brandaktuell. Denn wer denkt, dass die Massenmedien in ihren Kinderschuhzeiten bei Weitem noch nicht so korrumpiert und skrupellos waren, wie sie es heute sind, der merkt bei der Lektüre von Wests Roman, dass auch damals nichts besser war. Dass Wests Roman außerhalb der USA nahezu vergessen ist, ist nicht nur aufgrund seiner bestehenden thematischen Relevanz ein Dilemma. Die Absurdität und Rasanz von Wests Schreibe, die eindeutig an seiner Arbeit als Drehbuchschreiber im Hollywood der 1930er Jahre geschult ist, kann als Vorläufer postmoderner Autoren wie Thomas Pynchon oder gar David Foster Wallace gelesen werden. Man danke dem Manesse Verlag dafür, dass man anhand dieser Neuauflage nun endlich weiß, woher diese Erneuerer der amerikanischen Literatur einst ihre Inspiration bezogen haben.

Nathanael West: Miss Lonelyhearts

übersetzt und herausgegeben von Dieter E. Zimmer

Manesse Verlag

München 2012

165 Seiten – 19,95 Euro


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