Zwischen Machtlosigkeit und Eskalation

Stephan Thiel stellt das Publikum mit seinem Stück „Hold Someone Liable“ im Lofft vor schwierige Fragen

Fotos: Lofft

Sie sind zuverlässig, tüchtig und schreiben stets schwarze Zahlen. Seit Jahren, teils Jahrzehnten opfern sie sich für ihr Unternehmen auf. Und nun erfahren sie durch eine frühzeitig durchgesickerte Pressemitteilung von der Schließung ihres Standortes. Nach Osteuropa soll er verlagert werde. Schon sehr bald. Und nun stehen sie da, die Mitarbeiter des Zuliefererbetriebs, und wissen nicht mehr weiter. An diesem Punkt setzt Stephan Thiels Stück Hold Someone Liable – Sperr deinen Chef ein an. Es geht dabei um Fragen nach dem Individuum in einer globalisierten Arbeitswelt, um Macht, Verantwortung und Schuld.

Automatisiert verrichten sie ihre täglichen Handgriffe in der großen Maschinerie des Betriebes. Die Bühne ist mit Folie abgehangen, so dass die Arbeitsschritte eines jeden Einzelnen durch Schattenspiele zu einer großen Masse verschwimmen. Überhaupt spielt der Einsatz von Licht und Schatten, auch in Form eines Overheadprojektors, immer wieder eine Rolle in der Inszenierung. So werden mit Hilfe des Projektors Unternehmensstatistiken analysiert, Schachpartien ausgetragen und die demonstrierenden Mitarbeiter auf Fotos an die Wand geworfen.

„Hold Someone Liable“ ist ein Stück, dass sich mit der Frage beschäftigt: Wie weit kann man gehen, wenn die eigene (finanzielle) Existenz bedroht ist? Und so sperren die Mitarbeiter ihren Chef kurzerhand in seinem Büro ein und fordern den Erhalt des Standortes und damit den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Inspiriert ist diese Aktion vor allem von den sogenannten „Boss-Nappings“, die 2009 während der einsetzenden Finanzkrise in Frankreich populär wurden. Bei diesen sperrten die Arbeiter ihre Manager und Chefs kurzerhand ein, teils über mehrere Tage. Die Aktionen blieben für die „Entführer“ juristisch folgenlos, und so fühlen sich die Figuren im Stück bestärkt und animiert, einen ebensolchen Weg einzuschlagen. Doch ist es gerechtfertigt, einen Menschen einzusperren und ihm so seiner Freiheit zu berauben, um seine Interessen durchzusetzen? Genau zu dieser Frage musste sich auch das Publikum positionieren. In Form von roten und grünen Karten konnten die Zuschauer zu den Fragen der Schauspieler Stellung nehmen, und blieben so nicht einfach nur passive Beobachter der Szenerie. Und war man sich anfangs noch einige darüber, dass der Sekt geschmeckt hat (eine kleine „Wie setzte ich die Karten ein“-Übung sozusagen), so gingen die Meinungen im Laufe des Stückes immer weiter auseinander. Auch war es nicht immer einfach, die Fragen zur Richtigkeit der Aktion mit einem einfachen richtig oder falsch zu beantworten. Viele Worte wären dazu nötig gewesen, die einem aber (richtigerweise) nicht gegeben wurden. Und so war man zu einer schnellen, eindimensionalen Entscheidung gezwungen: Ja oder Nein?

Inspiriert ist das Stück von dem gleichnamigen Live-Rollenspiel Hold Someone Liable, von Florian Berger, der im Stück gleichzeitig al Co-Regisseur fungiert. Auch ohne Kenntnis des Originals lässt sich dennoch sagen, dass die Übersetzung in ein Bühnenstück sehr gut funktioniert und die Handlung voll aufgeht. Durch die ständige Rotation der Rollen (Chef ist immer derjenige, der ein Jackett und Namensschild trägt) bleibt Bewegung im Spiel und gleichzeitig wird deutlich: Ob Chef oder Angestellter, jeder kann in eine solch existenzbedrohende Situation geraten, aus der er keinen Ausweg findet.

Am Ende bekommen die Angestellten ein Angebot, der Zuschauer wird gefragt, ob er es annehmen oder weiter protestieren würde. Die meisten entscheiden sich für das Angebot. Und damit endet das Stück. Was wäre wohl passiert, wenn sich alle dagegen ausgesprochen hätten?

Hold Someone Liable – Sperr deinen Chef ein!

Regie: Stephan Thiel

Regie: Florian Berger

Dramaturgie: Christiane Guhr

Bühne: Paul Bauer

D: Claudia Wiedemer, Karin Werner, Josip Čuljak, Theo Plakoudakis

24. Januar 2013, Lofft


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