Woher kommen Sie? – Alabama, Sir!

Mit ihrem Kunstraum „Alabama, Sir“ hauchen drei Künstlerinnen dem Plagwitzer Bahnhof Leben ein

Von links: Zora Berweger, Rebekka Gnädinger und Karen Oostenbrink (Foto: Ildiko Sebestyen Photographie)

Der Bahnhof: ein Ort flüchtiger Begegnung, des ersten Kontakts, des Interesses, des Beobachtens und beobachtet Werdens. Ein Ort des Austauschs und seien es nur kurze Blicke, die einander zufällig streifen. Ein Ort, dessen Beständigkeit der Unbestand ist. Ein Heim- und Fernwehort, aber auch ein Ort der Hektik, der lauten Geräusche, ein Ort des Handels und der Ware. Genau hier verbeißen sich die romantische Verklärung des Reisens und die kalten Berechnungen eines unwirtlichen Kalküls ineinander.

In dieser Sphäre müsste man doch Kunst machen können, dachten sich Rebekka Gnädiger, Karen Oostenbrink und Zora Berweger als sie im April vergangenen Jahres den Kunstraum „Alabama, Sir“ im Plagwitzer Bahnhof eröffneten. Jenseits der Verfallsästhetik vieler Offspaces, vermittelt das „Alabama, Sir“ hinter dem roten Backstein und den vergitterten Fenstern einen lichthellen, und warmen Eindruck – schon allein, weil in den Wintermonaten eine Heizung für die nötige Wärme sorgt. „Der Fokus liegt auf dem klaren strukturierten Raum als Mischform. Wir sind keine Galerie, aber auch kein temporärer Raum“, sagt die Schweizerin Gnädinger. Und ihre Schweizer Kollegin Berweger ergänzt: „Das eigentlich Schöne an unserem Standort ist, dass er von der Kunstszene her mittendrin ist, der Ort aber trotzdem etwas eigenständiges und Verstecktes hat. Insofern sind wir mittendrin aber auch außen vor.“

Die Atmosphäre und die Stimmung, die durch die Lage hervorgerufen werden, waren den Wahlleipzigerinnen bei ihrer Entscheidung sehr wichtig. Insofern repräsentiert der Ort auch die eigene Entfernung der Künstlerinnen zu ihrer Heimat. Er ist aber auch Fluchtpunkt der Annäherung. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der Name des Kunstraums verstehen. „Alabama, Sir“ ist nicht nur ein Name, es ist eine Antwort und eine Struktur. Als Herkunftsbezeichnung lässt sich der Name auch so lesen: Woher kommt ihr? – Nicht von hier!

Konzeptuell verfolgen die Künstlerinnen einen eher offenen Ansatz, als eine dogmatische Reglementierung. „Der Grund, warum wir das machen, ist das Interesse an der Kunst und am Austausch untereinander“, sagt Berweger. „Aus diesem starken Interesse generieren sich die Ideen und die Art und Weise wie wir die Sache angehen“. Zum einen werden KünstlerInnen eingeladen, die im Alabama, Sir ausstellen. Aber auch die Künstlerinnen selbst lassen es sich nicht nehmen ihre eigenen Werke zu präsentieren.

Bezogen auf die Kunstraumlandschaft im Westen sieht die Niederländerin Oostenbrink eine positive Entwicklungslinie, die zu einer guten Professionalisierung der Gegenkultur zum kommerziellen Kunstbetrieb der Baumwollspinnerei führen kann. Dass die Folgen dieser Entwicklung nicht nur positiv sein können, ist den Künstlerinnen durchaus bewusst. Steigende Mieten und der damit im Zusammenhang stehende Zusammenbruch etablierter Strukturen ist eine der vielen Gefahren der fortschreitenden, nicht nur künstlerischen Erschließung des Leipziger Westens. Deswegen ist der momentan aus eigenen Mitteln finanzierte Kunstraum ebenfalls den Entwicklungen der nächsten Jahre unterworfen.

„Hier wohnten die Spachlosen, die Bilderlosen“, schrieb Wolfgang Hilbig in seinem Text für den Bildband „Plagwitz“ von Peter Thieme. Der Protagonist steht auf dem Bahnsteig des düsteren Plagwitzer Bahnhofs, in der düsteren Weststadt, im düsteren Leipzig. Das war damals. Würde der 2007 verstorbene Hilbig heute durch die Weststadt wandern, er würde sehen wie die Bilder zu sprechen begonnen haben. Nicht nur im Alabama, Sir.

Alabama, Sir

Nächste Ausstellung: 15. bis 30. März 2013: oqbo, raum für bild wort und ton (Berlin), Eröffnung: Freitag 15. März ab 19 Uhr, ab 20 Uhr Lesung: kookbooks – Labor für Poesie als Lebensform

www.alabama-sir.de

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