Die Haut, in der ich wohne, und die Maske, die ich trage

Manuel Harders „21 Tage“ in der Skala führt an Grenzen und hebt diese auf

Guido Lambrecht, Manuel Harder, Benjamin Lillie, Janine Kreß (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Der Raum in der Skala ist karg, ohne Stühle, ohne Bühnenbild, nur ein Tisch links an der Seite und zwei kleine Monitore. Die Bühne ist klein, vor der Kulisse eines goldenen Vorhangs. Nach einer kurzen, stummen Begrüßung durch einen clownesken Protagonisten erscheint Manuel Harder, der auch Regie führte, und nimmt an dem Tisch Platz. Langsam und bestimmt erzählt er, was ihn dazu brachte, in den Krieg zu gehen. Der Verlust der Frau. Die Trauer trieb ihn an. Dass diese noch größer werden würde, ahnte er nicht …

Nach der Erzählung von Harder schleichen drei Heimkehrer (Guido Lambrecht, Benjamin Lillie, Janine Kreß) auf die Bühne. Sie erzeugen Gänsehaut in ihrer Maskerade, die Clowns gleicht. Steht diese doch im völligen Gegensatz zu dem, was sie sagen. Langsam und bedächtig bewegen sie sich und erzählen vom Krieg, weichen dabei allerdings immer wieder aus. Hinter dem Lachen des Clowns kommt Trauma und Traurigkeit zum Vorschein. Sie stehen dort in der Maske des Clownesken, so wie sie maskiert/uniformiert in den Krieg zogen. Sie lachen, um nicht weinen zu müssen. Verstanden fühlen sie sich nicht. Wer könnte auch den Krieg verstehen, der nicht dort war. Der Satz des Heimgekehrten (Benjamin Lillie) zieht sich durch den Abend: „Was ein Mensch nicht alles tut, um seine Haut zu retten. Diese verdammte Haut“. Man rettet eine Haut, in der man sich dann nicht mehr wohlfühlt. Aus der man nicht mehr heraus kann.

Zweite Szene: Der goldene Vorhang stellt ein Ehrenmal dar, um der Toten zu gedenken. Eingeweiht wird es von Guido Lambrecht. Schnell spricht er. Er zeigt stolz eine Touristenattraktion. Seine schnelle Sprache und Gestikulation macht alles lächerlich. Das soll es ja auch sein. Krieg ist kein Spektakel. Was nützt es den Toten zu gedenken, wenn die Lebenden vergessen werden?

Abwechselnd werden jetzt die Geschichten eines 19-jährigen Soldaten, einer Frau, eines Kriegsheimkehrers und eines Scharfschützen erzählt. Der Bühnenraum ist obsolet. Die Grenze zwischen Schauspieler und Zuschauer aufgehoben. Sie sitzen unter uns. Sie sprechen uns an. Das schockiert. Einfühlung verlangen die Erzählenden von uns, drastische Einfühlung. Schließlich sollen wir verstehen, was selbst sie nicht verstehen. Die Schuld, die sie verspüren, soll durch das Verstehen ersetzt werden. Hier spricht kein Schuldiger zu uns, hier sprechen Opfer. Ein 19-Jähriger, angelockt von einem tollen Werbespot, mit Lust auf das Abenteuer. Der keine Ahnung hatte, was ihn erwartet und nun ganz offen fragt, ob man einen 19-Jährigen in den Krieg schicken darf.

Das „Nein“ auf diese Frage bleibt stumm.

Es ist ein Abend der Extreme. Die Grenzerfahrung des Krieges wird gezeigt durch die Aufhebung der Grenze zwischen Darsteller und Publikum. Wir sind involviert – und auch wieder nicht. Das Extrem zwischen Clown und Trauma intensiviert das Erzählen, dem viel Hilflosigkeit innewohnt. Die richtigen Worte sind schwer zu finden. So stocken auch die Darsteller des Öfteren – sie können nicht aus der Haut, die sie gerettet haben. Unsicherheit wird hinter einem Lächeln versteckt oder im Schweigen erstickt. Die Darsteller zeigen hier, besonders im plötzlichen Abbruch der Sprache und dem traumatischen Schweigen, eine unglaubliche Brillanz. Demgegenüber steht die große Euphorie für den Krieg, eine Begeisterung, mit der Guido Lambrecht vom Spaß der Waffenausbildung erzählt und einem Zuschauer die Waffe in die Hand drückt, um seine Begeisterung nachzuempfinden. Das Gefühl von Macht, mit einer solchen Waffe, steht grenzenloser Hilflosigkeit gegenüber. Auch das Publikum ist hilflos. Im dunklen Raum auf dem Boden sitzend schauen die Zuschauer beschämt nach unten, wenn ihnen die Frage gestellt wird, was sie tun würden, wenn sie umgeben sind von gelben Taxen und der Funkspruch käme, es befinde sich im gelben Taxi eine Bombe. Die Darsteller stellen sich selbst infrage und auch die Moral des Publikums. Es ist schwer auszuhalten, wenn man gefragt wird, wann man ein Mörder ist. Vor dem Hintergrund der Geschichte, die dann folgt, gibt es darauf keine Antwort. Der junge Mann erzählt, er schieße nicht auf Kinder, sonst sei man ein Mörder, aber plötzliche stehe da ein Kind mit Handgranaten und Gewehren. Man fragt sich als Zuschauer, was dieser junge Mann für uns bedeutet. Man überdenkt sich selbst an diesem Abend.

Zuletzt folgt ein Gespräch zwischen einem Waffenhändler und einem Kriegsreporter. Nüchtern, kalt. Krieg als Spektakel, als Geschäft.

Dieser Abend in der Skala erschüttert. Er ist intensiv. Mit wenigen theatralen Mitteln gelingt Manuel Harder ein Stück, das dramatischer und theatraler nicht sein könnte. Berührend ist die unbewusste, schutzsuchende Selbstinszenierung der Protagonisten. Lächelnd, um nicht zu weinen. Angepasst, aber traumatisiert. Wenn sie erzählen, so klingt es erschreckend sachlich. Die typische Schutzfunktion des Körpers setzt ein. Abstand zum Geschehen, damit es einen nicht zerreißt. Und dennoch sind sie zerrissen. Sobald das Erzählte tiefer geht, stockt die Sprache. Sichtlich unwohl fühlen sie sich in ihrer Haut.

Dieses Stück überzeugt, auch wenn das Publikum an seine Grenzen geht. Aber so ist Krieg – eine Grenzerfahrung. Alleine lässt die Skala das Publikum nicht. Nach der Vorstellung findet ein Publikumsgespräch statt.

Bis dahin steht das Publikum stumm auf dem Flur – kaum jemand sagt etwas. Krieg zerstört. Leben und Sprache. Man kann seine Haut retten, aber wie man danach in dieser Haut lebt, darüber spricht man nicht.

21 Tage – Skala

mit Manuel Harder, Janine Kreß, Guido Lambrecht, Benjamin Lillie

Regie: Manuel Harder

Ausstattung: Lena Schmid

Musik: Sven Michelson

Licht: Veit-Rüdiger Griess

Dramaturgie: Johannes Kirsten

Premiere: 17.01.2013, Skala


Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.