Nun poppt schon endlich!

Oder: Langeweile statt langer Lümmel. Wieso Meike Brochhaus mit ihrem postpornographischen Filmexperiment „Häppchenweise“ gnadenlos gescheitert ist

Ein Abend, sechs Körper und die Frage: Warum passiert nichts? „Häppchenweise“ versteht sich als postpornografisches Filmexperiment (Fotos: KalkPostPornProduction)

Crowdfunding macht heutzutage fast alles möglich. Auch Maike Brochhaus hätte ihren „postpornographischen“ Film Häppchenweise ohne aktive finanzielle Unterstützung der Nutzer des Portals startnext.de niemals drehen können, und es wäre sehr schwierig geworden, sage und schreibe 10.000 Euro aufzutreiben. Das Stichwort Porno im Kontext von Kunst lässt jedoch immer noch viele das Portemonnaie zücken, damit die Kasse ordentlich klingelt.

Aber worum geht es in Häppchenweise überhaupt? Ist es ein klassischer Porno? Ist es ein richtiger Experimentalfilm? Gibt es generell irgendetwas ansatzweise Neues darin zu sehen? All das muss vehement verneint werden. Die Handlung ist dabei schnell erzählt: Sechs Protagonisten, drei weibliche und drei männliche, treffen sich in einer Kulisse, bestehend aus einem Ess- und Wohnzimmer. Alle Teilnehmer an diesem Abend wurden vorher gründlich gecastet und wissen auch, dass es an diesem besonderen Abend um Sexualität geht und um die Frage danach, wie weit man bereit ist zu gehen vor laufender Kamera. Wird es nur schüchtern-zärtliche Streicheleinheiten geben oder wüstes Geknutsche? Oder geht es sogar bis zum Äußersten, und die Teilnehmer liefern den omnipräsenten Kameras eine stundenlange Orgie?

All dies weiß man zu Anfang nicht, und eigentlich könnte das auch die Spannung dieses Films ausmachen. Um diese Spannung, die ja auch immer ein gewisses Interesse voraussetzt, zu erzeugen, hätte die Regisseurin ruhig mit etwas mehr Mut zum Risiko ihre Darsteller casten können. Zum einen hätten wir da den bärtigen Till, den reifen Simon und Linus, den schüchternen Schwulen mit kleinem Bäuchlein (putzig, so einen hätte bestimmt jedes Mädel mit mangelndem Selbstbewusstsein gerne als besten Freund). Dazu gesellen darf sich noch Alice, die kühle Schwarzhaarige, die generell in den ganzen gähnend langweiligen 72 Minuten des Films kaum zu Wort kommt, was sie wohl ihrer Zurückhaltung zu verdanken hat, von der sich Franzi, die kecke Rothaarige, und Jenz (ja, die heißt wohl wirklich so!), die frivole Draufgängerin, einige Scheiben abschneiden könnten.

Regisseurin Meike Brochhaus

Neben diesen Abziehbildern von „irgendwas mit Medien“-Studenten ist es vor allem die stagnierende Handlung des Films, die einen immer wieder vor die Frage stellt: Wann passiert denn endlich was? Die erste Viertelstunde des Films besteht eigentlich nur aus Gesprächen der sechs Teilnehmer. Bis dann endlich mal mit dem Flaschendrehen angefangen wird, was die Stimmung neben dem reichlich genossenen Alkohol zusätzlich anheizen soll. Aber auch da gilt erst mal: Pustekuchen! Auf den Aufgabenkärtchen stehen allen Ernstes Fragen wie: „Was bedeutet für dich Feminismus?“ Simon, der übrigens auch der feste Freund der Regisseurin ist, stammelt sich dabei gehörig einen ab und natürlich müssen die drei Damen umgehend eingreifen und fühlen sich dazu berufen, die Geschlechtertrennung als ein „Konstrukt“ zu entlarven. Anstatt (post-)pornographischer Handlung wird man auch noch mit Genderdebatten für Dummies genervt. Na wunderbar.

Wenn das doch bloß die einzige sinnlose wie auch von der Kernidee des Films ablenkende Aufgabe beim Flaschendrehen wäre. Das pubertäre Spielchen macht ja immerhin nahezu die ganze eigentliche Handlung aus. Weiteres Lowlight des Films ist die an Linus gestellte Aufgabe, allen anderen Mitstreitern ein ehrliches Kompliment zu machen. Dies steht nun wirklich völlig dem eingeschriebenen Diktum des Abends entgegen, dass alles doch ach so ungezwungen vonstatten gehen soll. Ein Kompliment lässt sich nicht einfach so aus dem Nichts heraus machen. Es bedarf einer genauen Überlegung und sollte an richtiger Stelle im laufenden Gespräch untergebracht werden. Kein Wunder, dass der arme Linus wie auch Simon bei der Feminismusfrage arg ins Stottern gerät.

Kurzum: Es riecht arg nach Ferienlager in diesem Film. Jeder mag jeden, und jeder bekommt auch eine Trophäe ohne sich dafür im entferntesten anstrengen zu müssen. Der Film endet sogar mit den Worten: „Jeder gibt auf den anderen Acht!“ Vielleicht ist es doch diese problemlose und politisch korrekte Idylle, in der man höchstens mal ein wenig energisch über Feminismus und das saublöde Geficke auf Youporn lamentieren darf, aber ja kein Sterbenswörtchen darüber verliert, dass man den anderen nicht leiden kann oder gar unattraktiv finden könnte. Hätte Brochhaus ― wie bereits zuvor erwähnt ― ein wenig mehr Diversität in der Auswahl ihrer Projektteilnehmer walten lassen, hätte man diesem Problem auf einfachem Wege vorbeugen können. Und aus der diskursiv gedachten Idee wäre auch eine interessante Diskussion entstanden.

Den endgültigen Todesschuss setzt dem Film die monotone Musik von Sören Störung. Da sei dann auch die Frage erlaubt: Wieso überhaupt Musik bei einem Film, dem es nur um die Dokumentation eines Experiments geht? Da bleibt einem dann doch nichts anderes übrig, als den Kopf zu schütteln, wenn entweder rührseliges Geklimper (dann, wenn Linus von seinem Coming-Out erzählt) oder pathetisches Gedudel (immer dann, wenn die ganze Truppe am Rummachen ist) den sowieso schon nicht vorhandenen Fluss der Bilder stört. Zeitweise ist die Musik so unfassbar banal in ihrer Aufdringlichkeit, dass man den Verdacht haben könnte, Regisseurin Brochhaus denkt, dass sie wirklich etwas völlig Originäres gedreht hätte. Dabei wünscht man sich als Zuschauer die ganze Zeit, dass gleich der Handwerker kommt und fragt, wo denn hier ein Rohr zu verlegen sei.

Man kann wirklich kaum ein gutes Haar an Maike Brochhaus‘ postpornographischem Experimentalfilm lassen, was wohl damit zu tun hat, dass sie letzten Endes doch zu wenig über den eigenen Tellerrand geschaut hat. Drei hipsterig-süße Jungs und drei Möchtegern-Altporn-Grazien sind eben noch keine Garantie für einen sinnlich-erotischen Film trotz viel Knutscherei und fast sogar so etwas, was man ― wenn man alle Augen zudrückt ― sogar als Sex bezeichnen könnte. Eventuell hätte man auch einfach den ganzen Kennlernprozess der Teilnehmer filmisch außen vor lassen müssen, um der vermeintlichen Ausgelassenheit ― von der ohne Alkohol und Flaschendrehen keine Rede sein könnte ― einen gewissen Reiz abgewinnen zu können.

Welchem Crowdfunding-Unterstützer auch immer Hose und Portemonnaie aufgesprungen seien, als er von Brochhaus‘ Projektidee gehört hat: Vermutlich wird er oder sie es bitter bereuen, dafür im Vorhinein bezahlt zu haben und dann mit einem so halbgaren und ins Leere laufenden Resultat abgespeist zu werden. Denn für den ganzen Film gilt: keine Erotik. Nirgends. Oder um es mit den weisen Worten von Oliver Kalkofe zu sagen: „Wer das geil findet, der wichst auch auf eine gemischte Aufschnittplatte.“

Häppchenweise. Ein postpornografisches Experiment

Deutschland 2013, 75 Minuten, FSK 16

Regie: Maike Brochhaus; Darsteller: Linus, Till, Jenz, Alice, Simon, Franzi

Seit Mai 2013 als Download unter:

www.haeppchenweise.net

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