Tag der halboffenen Tür

„First Position“, ein Dokumentarfilm über das harte Leben junger Balletttänzer, wahrt Distanz zu seinen Protagonisten

Die Tänzerinnen und Tänzer bei der Vorbereitung auf den renommierten „Youth America Grand Prix“ (Fotos: Ascot Elite)

Es ist ein Bild, das wir alle kennen: Eine lächelnde, sich grazil und anmutig über die Bühne bewegende Balletttänzerin, eine Pirouette nach der anderen drehend. Die Haare sind streng nach hinten gekämmt, das Gesicht strahlt, und das glitzernde Tutu sitzt perfekt. Jene Ballerina verkörpert eine märchenhafte Idealwelt, vollkommenes Glück und den Traum unzähliger Mädchen. Dass hinter der Realisierung dieses Traums jedoch physische und psychische Höchstleistungen stecken, bleiben Bühne und Publikum verborgen.

Regisseurin Bess Kargman, als Kind selbst Ballerina, gewährt in ihrem Dokumentarfilm First Position tiefe Einblicke in die Welt vor, hinter, auf und neben den Ballettbühnen. Sechs angehende Profi-Tänzerinnen und Tänzer im Alter zwischen 10 und 17 Jahren werden bei der Vorbereitung auf den renommierten „Youth America Grand Prix“ begleitet. Kargman zeigt den Alltag von Kindern, die täglich länger und härter arbeiten als ihre Eltern, um wenige Jahre ihres Lebens in den großen Ballettcompagnien der Welt tanzen zu können, bevor das Streiken des Körpers der Karriere ein Ende setzt.

Da ist beispielweise Aran Bell. Der Elfjährige gewann zwei Jahre in Folge den „Hope Award“, einen Zusatzpreis für herausragende Leistungen, beim „Youth America Grand Prix“ sowie diverse weitere Preise bei verschiedenen Wettbewerben. Wegen der Versetzung seines Vaters, einem Navy-Arzt, nimmt Aran täglich eine etwa zweistündige Fahrt von Neapel zum Training nach Rom auf sich. Wenn er in die Kamera blickt und seine Geschichte erzählt, wirkt Aran stets gefasst, diszipliniert und vor allem ernst. Sieht man ihn tanzen, vermutet man, nicht einen Elfjährigen, sondern einen Erwachsenen vor sich zu haben.

Perfektion statt Passion? Die Protagonisten in „First Position“ wirken wie gut geölte Maschinen

Gleiches gilt für Miko, die in Bühnen-Make-up und kühlem Gesichtsausdruck nicht gerade das spiegelt, was man als kindliche Leichtigkeit und Unbekümmertheit bezeichnet. Wie ihr und Aran ist allen der porträtierten Kinder und Jugendlichen eine mit viel Verzicht einhergehende Disziplin gemeinsam. Den enormen Aufwand sichtbar zu machen, der sich hinter dem Idealbild der Bühnenstars verbirgt, ist die große Leistung von First Position.

Kargmans Dokumentation stellt Fakten in den Vordergrund und vermittelt diese ästhetisch unauffällig. Die Besonderheit des Films liegt ― wie so oft in diesem Genre ― lediglich in der Brisanz und Exklusivität des Themas, vor welcher der künstlerische Anspruch zurücktreten muss. Das typische Erzählmuster kombiniert Interviews mit den Protagonisten, ihrer Familie und Trainern mit Bühnenszenen des „Youth America Grand Prix“. Zwar wird dabei Spannung aufgebaut ― man zittert bei den Wettbewerbsszenen tatsächlich mit den Teilnehmern mit ― Zauber und Leidenschaft aber kommen wenig an.

Regisseurin Bess Kargman hat Journalismus studiert. Auch ihr Filmdebüt bemüht sich um Objektivität

Die Kamera (Nick Higgins) zoomt nicht nah genug an die Charaktere heran, kratzt lediglich an deren Oberfläche, die mit Detailaufnahmen, Slow Motions und längeren Einstellungen hätte durchbrochen werden können. Viel zu schnell wechselt die Erzählperspektive von einer Person zur nächsten und deren Gesagtes bleibt unreflektiert, kann nicht wirken. Wo ist der Schmerz, sind die Opfer, die die jungen Tänzer bringen müssen? Verletzungen, finanzielle Schwierigkeiten und mangelnde soziale Kontakte werden zwar angesprochen, jedoch nicht vertieft und glaubhaft bebildert. Wo ist das Herzblut, das die Protagonisten in ihren Traum stecken, wo die Leidenschaft, mit der sie den großen Solisten und Vorbildern nacheifern?

Aran, Miko, Jules, Michaela, Joan Sebastian, Rebecca: Sie alle lernen wir als junge, aufstrebende Tänzer kennen, die unterschiedlichste Lebensgeschichten und ein gemeinsames Berufsziel haben. Doch begegnen sie uns weniger als Menschen, sondern mehr als Maschinen, denen es um Perfektion und nicht um Passion geht. Sie alle bleiben unnahbar. Vielleicht aber liegt gerade in der Wahrung dieser Distanz, in einer gewissen Oberflächlichkeit, eine Stärke des Films. Auf diese Weise wird keine Position bezogen, der Film nicht in eine Zielrichtung gedrängt. Man merkt, dass die Regisseurin, die mit First Position ihren ersten Film drehte, studierte Journalistin ist.

First Position

USA 2011, 90 Minuten

Regie: Bess Cargman; Mitwirkende: Aran Bell, Gaya Bommer Yemini, Michaela Deprince, Jules Jarvis Fogarty, Miko Fogarty, Rebecca Houseknecht, Joan Sebastian Zamora

Kinostart: 11. Juli 2013


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