Die Sonne auf dem Bauch, ein Buch vorm Gesicht

Sommerzeit ist Lesezeit. Ein kleiner Überblick darüber, was sich in dieser Saison lohnt und womit man besser nicht die mußevollsten Stunden des Jahres verschwendet


Abbas Khider: Brief in die Auberginenrepublik

Für Khiders zweiten Roman Die Orangen des Präsidenten hagelte es hervorragende Kritiken. In seinem dritten Roman zeigt der Autor erneut alle Qualitäten, die man schon am Vorgänger so sehr geschätzt hat. Aus mehreren Perspektiven lässt Khider seine Leser den langen Weg eines Briefs nachvollziehen, der von Libyen in den Irak gelangen soll. Noch einen leichten Tick gekonnter, mäandert die Sprache zwischen kitschbefreiter Poesie und dem Gerede der irakischen und lybischen „Vox populi“. Ganz und gar indirekt feiert Khiders Buch aber auch den Segen, den das Internet mit sich bringen kann. Man bedenke, dass die Handlung noch vor dem Zeitalter der allgegenwärtigen Vernetzung spielt (wir befinden uns im Jahr 1999) und die Zensur noch ihre volle unterdrückerische Macht ausspielen konnte. Eine definitive Empfehlung für alle Leser, die den Irak unter Saddam Hussein und Lybien unter Ghaddafi besser verstehen wollen, ohne sich durch uninspirierte Sachbücher zu diesem Thema arbeiten zu wollen.

Erschienen bei Edition Nautilus, 160 S., 18 Euro


Jochen Schmidt: Schneckenmühle

Schmidts Roman über dem 14-jährigen Jens, den es kurz vor der Wendezeit noch einmal in ein DDR-Ferienlager verschlägt, bevor er endgültig zu alt dafür ist, könnte so gut in die schwüle Sommerhitze passen. Leider hat man es entgegen aller Erwartungen eher mit einer sehr langen Anekdotensammlung zu tun. Dabei vermag Schmidt es sonst, das Alltägliche heutiger und vergangener Zeiten mit leichter Hand in Episches zu verwandeln. Nur bei Schneckenmühle mag ihm das nicht so recht gelingen. Anstatt sich die eigentliche Ereignislosigkeit eines solchen Ferienlagers erzählerisch-fantasievoll zu Nutze zu machen, wird hier der Leser mit pubertären Sprüchlein und einem überdramatisierten Ende abgespeist. Da greife man doch lieber zu Schmidt liest Proust, eine in Buchform gebrachte Sammlung von Blogeinträgen zur täglichen „Recherche“-Lektüre. Wer lesend die Proust-Lektüre von Jochen Schmidt mitverfolgt (und bestenfalls selbst noch nebenher die große Unternehmung Auf der Suche nach der verlorenen Zeit auf sich nimmt), dem wird auf einmal schlagartig klar, wieso man überhaupt liest: Aus Neugierde auf sich selbst und die Welt um einen herum. Leider lässt Schneckenmühle in seiner stumpfen, wie auf der Stelle tretenden Dramaturgie schnell sämtliches Interesse abebben.

Erschienen bei C.H. Beck, 220 S., 17,95 Euro


Peter Buwalda: Bonita Avenue

Obwohl die Niederlande doch quasi nur um die Ecke sind, erscheinen die literarischen Exportgüter eher rar gesät. Mit Peter Buwalda hat die niederländische Literatur nun aber ein wirklich dickes Geschütz aufgefahren. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Bonita Avenue ein Debütroman ist. Aber was für einer! Dreh- und Angelpunkt der komplexen Handlung dieses Familienromans ist Siem Sigerius, ein gut gealterter Mathematikprofessor. So schön es sich auch mit einem Professorengehalt lebt (vor allem, wenn man in Kalifornien dozieren darf), so kompliziert sind Siems Patchworkfamilienverhältnisse. Der leibliche Sohn sitzt seit Jahren im Knast, die Stieftochter beginnt mit Aufkommen des Internets mit mehr oder minder explizit pornographischen Fotografien, ein Vermögen zu verdienen. Dass bei solchen Turbulenzen kein Happy End zu erwarten ist, sollte klar sein. Dafür erwartet einen mit diesen „Korrekturen“ in der besser verdaulichen Lightversion ein kurzweiliges Lesevergnügen.

Erschienen bei Rowohlt, 600 S., 24,95 Euro


Alexandre Lacroix: Kleiner Versuch über das Küssen

So vielversprechend der Titel auch klingen mag, so beliebig und kreuzbrav ist am Ende das Resultat. Der Autor Alexandre Lacroix, den es vor wenigen Jahren vom lärmigen Paris in die ländliche Vorortregion verschlagen hat, doziert in der französischen Metropole auch Kreatives Schreiben an der Sciences Po. Lacroix’ grundsätzliche Fragen, die er an sein Sujet stellt, sind hoch interessant (Wieso küssen wir eigentlich? Woher stammt dieses Ritual? Wieso hat sich über Jahrtausende hinweg nichts an dieser Zurschaustellung zwischenmenschlicher Liebe und Begierde nichts geändert?), trotzdem scheinen die Antworten oft an zu naheliegenden Orten gesucht. Ebenfalls lästig: Lacroix’ eingestreute Privatvorlieben und Kussfetische, wie die Ausführung des „Rainbow Kiss“ (am besten selber googeln). Mal ehrlich: Will man das wirklich wissen?

Erschienen bei Matthes & Seitz, 175 S., 16,90 Euro


Peter Schneider: Die Lieben meiner Mutter

Neben Uwe Timm ist Peter Schneider wohl der bekannteste Schriftsteller, der der 68er-Generation entsprungen ist. Bei allen Vorwürfen, die diese ihrer Elterngeneration zu machen hatten, hat Peter Schneider nun ein liebevolles und einfühlsames Porträt seiner Mutter verfasst. Dabei hat Schneider den Stoff für diesen Roman erst vor ein paar Jahren ausfindig gemacht. Die in Sütterlinschrift verfassten Briefe seiner Mutter an den Ehemann und ihren Geliebten blieben jahrelang untranskribiert. Erst als Schneider eine gute Freundin um die Übersetzung der Schriftstücke bat, wurde ihm klar, wie sehr seine Mutter im bayrischen Grainau der späten 1940er-Jahre heimlich gelitten haben muss. Aber da war ja nicht nur die Mutter, sondern auch der ältere Nachbarsjunge Willy, der durch seinen guten Draht zum Erzengel Michael angeblich das Fliegen lehren könnte. Zugegebenermassen ein zeitweise etwas zu sprungthaft erzähltes Buch und auch stilistisch oft eher dröge. Trotzdem ist Die Lieben meiner Mutter dank aufwühlender wie beherzter Recherchearbeit bei diesem brisanten Stoff ein lesenswertes Buch.

Erschienen bei Kiepenheuer und Witsch, 300 S., 19,99 Euro


Jim: Eine Nacht in Rom

Wer in diesem Sommer die Lesefaulheit vorzieht (was natürlich immer die schlechtere Wahl ist), dem sei der erste Band dieses auf zwei Bände ausgelegten Comics sehr ans Herz gelegt. Eine Nacht in Rom erzählt die Geschichte von Raphaels vierzigstem Geburtstag, der durch das unerwartete Geschenk einer alten VHS-Kassette zwanzig Jahre zurück katapultiert wird. Die Kassette stammt nämlich von seiner ersten großen Liebe Marie, der er einst etwas versprach, was ihm zuerst nicht einhaltbar erscheint. Doch dann wirft Raphael alles über den Haufen und macht sich auf den Weg nach Rom. Jene Stadt, in der sein Versprechen an Marie eingehalten werden soll.

Der französische Comiczeichner Jim, der auch für die Texte verantwortlich ist, entwirft mit wenigen Worten ganze Biographien für seine Figuren. Da kann man direkt darüber hinwegsehen, dass die Sprache manchmal etwas zu sehr ins flapsig-berufsjugendliche abdriftet. Insgesamt ein sehr sinnliches Vergnügen, das nebenher noch beweist, dass die Malerei neben der Literatur immer noch das beste Medium ist, um niveauvoll über Körperlichkeit zu reflektieren.

Erschienen im Splitter Verlag, 120 S., 19,80 Euro


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