Erkenntnistrip für Held und Publikum

Salzburger Festspiele 2013: Erstklassige Musiker und intelligente Regieeinfälle können die sperrige Oper „Gawain“ nicht retten

Fotos: Ruth Walz

Gawain ist seit der Uraufführung 1991 am Covent Garden in London nicht mehr aufgeführt wurden. Harrison Birtwistle und David Harsent haben sich die ambivalente Aufnahme des Stückes – es gab viel Kritik – zu Herzen genommen und 1994 und 1999 Neufassungen vorgelegt.

Der Plot der Oper greift auf den Sagenkreis um König Artus zurück, ein besonders in Großbritannien bis weit in die Populärkultur bekannter Stoff über Gawain und den Grünen Ritter, basierend auf einem Versepos des 14. Jahrhunderts. Der geheimnisvolle Grüne Ritter erscheint am Weihnachtsabend am Hofe König Artus‘ und wünscht, dass man ihm den Kopf abschlage. Zuerst findet sich im an Resignation erstarrten Hofe König Artus niemand, der diesen Wunsch erfüllen möchte, bis sich endlich Gawain dazu bereit erklärt und gleichzeitig die Verpflichtung eingeht, binnen Jahresfrist zur grünen Kapelle zu reisen und sich dort der gleichen Prozedur zu stellen.

Birtwistle und Harsent schicken in ihrer Interpretation des alten Stoffes Gawain auf eine Reise zu sich selbst: „Gawain ist eine Figur, die am Ende seinen eigenen Schatten findet“, David Harsent. Ein Erkenntnistrip, der den Helden Gawain zurück zum Menschen wandeln soll. Gawain ist am Ende bereit Fehler eizugestehen, er will kein Held mehr sein. Damit grenzt er sich von seinem bisherigen Umfeld ab, den Rittern der Tafelrunde, und diese verfallen in blankes Entsetzen. Ein Märchen also, das auch mit unserer Gegenwart etwas zu tun hat. Endzeitstimmung, die Sehnsucht nach Heldentaten, nach einfachen Lösungen und das Heraufbeschwören von vergangenen Zeiten sind nicht nur allgemeine, sondern durchaus auch spezielle Themen unserer Zeit.

Wie überträgt David Harsent die alte Legende in unsere Zeit? Die Zauberin Morgan le Fay kommentiert von Anfang an alle Geschehnisse, teils Interpreter, teils Kommentator nimmt sie Ereignisse vorweg oder reflektiert sie. Morgan le Fay ist für uns Zuschauer die ganze Zeit sichtbar, für die Protagonisten des Stückes soll sie nach Birtwistle und Harsent unsichtbar sein. Als musikalische und inhaltliche Drahtzieherin ist Morgan le Fay die wichtigste dramaturgische Idee der Oper, eine Art musikalische Simultanszene, in deren Folge sehr viel monologisiert wird, oft dann mehrfach.

In der Neufassung haben sich Birtwistle und Harsent bemüht, das Thema der Selbsterkennung Gawains stärker aufzuladen. Wie im Märchen üblich werden jetzt stur bis zum Schluss alle Motive drei Mal wiederholt. Der zweite Akt wurde mit moralisierenden Sentenzen angereichert, philosophierende Repetitionen, dazu patethisch aufgeladene Musik.

Parallelen tun sich auf: 2006 wurde Hans Werner Henzes Oper Go No Eiko bei den Salzburger Festspielen neu aufgeführt, auch das war eine Überarbeitung der ursprünglich mit dem Titel Das verratene Meer 1990 in Berlin uraufgeführter Oper Henzes. Auch das ein schwer zu inszenierendes Stück, bei dem die Figuren mehr Ideenträger als individuell charakterisierte Personen sind. Damals, 2006, hat man sich entschlossen, die überarbeitete Oper konzertant aufzuführen, zu groß war der Respekt vor dem anspruchsvollen Werk, zu groß die Sorge nach der verhaltenen Aufnahme der Uraufführung 1990 in Berlin.

2013 ist der Anspruch ein anderer: die Intendanz von Alexander Pereira hat sich vorgenommen, neben dem Opernklassiker-Best-of-Programm pro Jahr ein Stück Gegenwart auf die Bühne zu bringen. Die furiose Aufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper Die Soldaten im letzten Jahr und der Überraschungserfolg beim Salzburger Festspielpublikum haben diese Idee wohl noch vorangetrieben. Das Auftragswerk von György Kurtag, was 2013 vorgesehen war, ist leider nicht termingerecht fertig geworden, so kam Gawain ins Festspielprogramm und nach dem Motto „never change a winning team“ wurden wieder Ingo Metzmacher und Alvis Hermanis mit der Inszenierung betraut.

Gawain ist ähnlich aufwendig wie Zimmermanns Soldaten, der Orchestergraben reicht nicht aus, alle Musiker des ORF-Radio-Symphonieorchesters aufzunehmen. Ganze Schlagwerkbatterien sind auf den Seitenemporen untergebracht, der Salzburger Bach-Chor muss im Verborgenen arbeiten, man bekommt die schätzungsweise 80 Sängerinnen und Sänger erst zum Schlussapplaus zu Gesicht. Erstmal wieder eine Steilvorlage für Ingo Metzmacher, den bekennenden Modernisten mit Vorliebe für Riesenwerke. Aber auch für Alvis Hermanis könnte die Herausforderung nicht größer sein: Die Felsenreitschule ein auratischer Raum in den felsigen Salzburger Mönchsberg geschlagen, lässt jeglichen musikdramatischen Komfort wie Hinterbühne oder Schnürboden vermissen, das zu inszenierende Stück ist über weite Strecken ein monologisches Epos, musikdramatisch bietet Gawain erst mal wenig Angriffspunkte.

Wo sich Ingo Metzmacher mit Verve in die Originalpartitur stürzt, hat sich Alvis Hermanis auf die Suche nach Gegenwartsbezügen gemacht. Die Bühne ist zweigeteilt: auf der einen Seite ein Raum, wie nach einer Natur- oder Reaktorkatastrophe. Die Ritter der Tafelrunde apathisch dahinvegetierend, Artus ist an den Rollstuhl gefesselt. Auf der anderen Seite ein schon wieder von der Natur zurückerobertes Stück Endzeitszenario, übereinandergestapelte Autowracks, alles überwuchert von stechendem Grünzeug. Auf der einen Seite also ein Bild der Folgen der menschlichen Selbstüberschätzung (später läuft ein Video einer Flutkatastrophe), auf der anderen Seite die unverwüstliche Natur, die wandlungsfähig und belastbar in einer göttlichen Weisheit alle Katastrohen übersteht. Doch damit nicht genug der dramaturgischen Aufladung, in Gawain erkennt Hermanis einen der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, Joseph Beuys. In seiner Mission um die Herstellung der Einheit von Mensch und Natur sieht Hermanis Parallelen mit dem Antihelden Gawain.

Gawain in der Maske Joseph Beuys agiert in bekannten Installationen des Künstlers: „Wie man den toten Hasen die Bilder erklärt“ und „Das Rudel“ und „I like America and America likes me“. Die Bühne ist mit Filz, eines von Beuys Lieblingsmaterialen, in Szene gesetzt, die etwa 15 Schauspielerinnen und Schauspieler benutzen Filz als wichtige Requisiten der Choreografie.

Dieses aufwendige Setting kann die dramatischen Mängel der Oper leider nicht kompensieren. Das Geschehen schleppt sich müde dahin, die Aktionen können das moralgesättigte Libretto musikdramatisch nicht aufladen. Anstrengend, geradezu quälend die stupiden dreimaligen Wiederholungen vieler Motive. Dadurch geht leider auch der Partitur die Dichte verloren. Ingo Metzmacher hält den riesigen Klangapparat kongenial zusammen, das ORF-Radio-Symphonieorchester spielt mit größtmöglicher Konzentration, bei den fast tropischen Temperaturen des heutigen Abends wird ausgezeichnet gesungen, besonders Laura Aikin als Morgan de Fay kann dem vom Blech bestimmten oft mächtigen Orchesterklang einen glasklaren Sopran entgegensetzen.

Birtwistles Vorliebe für muskulös-sakrale Aktionen wird von den Klangapparaten der Seitenemporen feinfühlig und präzise ergänzt, viele solcher einzelnen Aktionen zeigen die herausragende Qualität eines der großen Komponisten unserer Zeit. Nur fügt sich die Klang- und Gedankenwelt nicht zu einem stringenten Ganzen zusammen. Leider muss man sagen, ist auch der zweite Versuch Birtwistles Oper (ur)aufzuführen, nicht gelungen. Vielleicht hat man es sich nach dem Erfolg der Soldaten im Rücken auch etwas zu einfach gemacht: Metzmacher plus Hermanis plus moderne Oper gleich Erfolg, diese Formel ist leider nicht aufgegangen. Das Publikum reagierte am Ende der Premiere mit höflichem Applaus, freilich hatten einige das Haus in der Pause schon verlassen.

Gawain

Oper in zwei  Akten (1990–1991/1994/1999)
von Sir Harrison Birtwistle (*1934)
Libretto von David Harsent (*1942)
nach der anonymen mittelenglischen Romanze 
Sir Gawain and the Green Knight

Mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer der Oper ca. 2 Stunden und 45 Minuten.

Ingo Metzmacher, Musikalische Leitung
Alvis Hermanis, Regie und Bühne
Eva Dessecker, Kostüme
Gleb Filshtinsky, Licht und Video
Multimedia design studio „RAKETAMEDIA“, Moskau, Produktion des Videomaterials
Gudrun Hartmann, Regiemitarbeit
Uta Gruber-Ballehr, Bühnenbildmitarbeit
Ronny Dietrich, Dramaturgie
Alois Glaßner, Choreinstudierung

Salzburger Festspiele 2013, 26. 7. 2013, 19.30 Uhr (Premiere)

Hans Werner Henzes „Go No Eiko” wird bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt
Bernd Alois Zimmermanns „Die Soldaten“ unter dem genialen Dirigat von Ingo Metzmacher

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