Der Ornitholog, der einst betrog

Uwe Timm bleibt mit seinem neuen Roman „Vogelweide“ weit hinter seinen Fähigkeiten zurück

Uwe Timm ist zweifelsfrei einer der wenigen Schriftsteller, die seit Jahrzehnten Publikum wie Kritik gleichermaßen begeistern. Während die Kritiker zu Recht von Timms wahnsinnig gekonntem Stil schwärmen, verliert sich das große Publikum zu gern in Timms leisen, lakonischen und mittlerweile stärker autobiographisch gefärbten Geschichten. Leider verheddert sich Uwe Timm in seinem neuesten Roman Vogelweide aber gewaltig in einer Storyline, der einiges an Vergangenheits- wie Gegenwartsballast aufgebürdet wird. Dabei ist die Geschichte an sich nicht einmal sehr kompliziert, sondern ziemlich fix erklärt, wenn auch generell nicht uninteressant.

Gefallener Held des Romans ist ein Mann namens Eschenbach (Vogelweide, Eschenbach; selbst bei Hobbygermanisten sollte es jetzt klingeln), der ein Einsiedlerdasein auf einer kleinen Insel in Elbnähe fristet. Die Entscheidung für ein solches Eremitendasein fiel, nachdem Eschenbachs Softwarefirma mit Ach und Krach pleite und sein Sozial- und Liebesleben völlig in die Brüche gegangen war. Vor der titelgebenden Vogelweide gab es ein Leben in den besseren Kreisen Berlins. Eschenbach war mit der Silberschmiedin Selma zusammen, verliebte sich dann aber in Anna, die wiederum mit dem Architekten Ewald zusammen war.

Ein seit Goethes Wahlverwandtschaften oft gewählter wie zeitloser Topos. Es ist aber gar nicht die sehr simple Geschichte, die einem das Buch so schnell madig macht, sondern seine schiere Überladenheit und seine nichtssagenden Charaktere. Man würde dann einfach auch gerne mal wissen, was nun der genaue Grund für Eschenbachs katastrophale Insolvenz gewesen sein soll. Stattdessen wird man mit irgendwelchen Zahlungsunfähigkeiten abgespeist, eine konkrete Fallschilderung fällt aus, was Eschenbachs Scheitern zusätzlich sehr undurchsichtig macht. Auch Annas Umzug von Berlin nach New York als Resultat dieser Affäre bleibt einem eher schleierhaft, wenn man bedenkt, dass sie in Berlin ein Leben wie aus dem Manufactum-Katalog geführt hat und sie dafür nur ein etwas tristeres Berufsleben als Lehrerin anstatt als Galleristin, wie sie es dann in New York realisiert, in Kauf nehmen musste.

Das Kernproblem von Vogelweide liegt letzten Endes an der falschen Fokussierung der Erzählung. Anstatt von Eschenbachs wirklichem Elend zu erzählen, das seine Insolvenz über ihn bringt, philosophiert Timm über die Zustände in den Problemvierteln Berlins, mit denen der Protagonist vorher keinerlei Berührung hatte. Anstatt handfeste Abhandlungen über die Auswirkungen und den Begriff der „Begierde“ zu liefern, gibt es immer wieder kleine Theoriehappen und intellektuelles Namedropping anstatt kluger Gedanken. Aus völlig unerfindlichen Gründen haben auch Charaktere aus Timms letzter Novelle Freitisch und seinem Roman Rot einen Cameo-Auftritt. Das ist zwar irgendwo ganz witzig, aber in diesem sonst eher humorbefreiten Roman einfach narratologisch nicht so recht schlüssig. Am Ende kann man – auch wenn der Autor sich meilenweit vom Kitsch entfernt hält – wie bei Rosamunde Pilcher sagen: Immerhin, diese Insellandschaften sind toll. Immerhin.

Uwe Timm: Vogelweide

Kiepenheuer und Witsch

Köln 2013

336 S. – 19,99€


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