Ronny Jakubaschk inszeniert „2 Uhr 14“ am Theater der Jungen Welt
Die umgeworfenen Stühle lassen das Geschehen schon vorausahnen, die weißen Umrandungen auf dem Bühnenboden deuten bereits den Schrecken an. Fünf mit Kreide nachgezogener Körperformen, doch keine Leichen. Man neigt bei diesem Anblick schnell dazu, dramatisch zu werden, und wie sollte man auch anders? Ronny Jakubaschk kann anders. In seiner Inszenierung 2 Uhr 14 bringt er das Thema Amoklauf auf die Bühne, ohne nach Erklärungen für die unfassbare Tat zu suchen: „Im Stück werden nicht die Gründe für den Amoklauf gesucht und es wird auch nicht versucht, ein Porträt des Amokläufers zu zeichnen. Es geht um vier Schüler und einen Lehrer, die mit den Problemen und Unmöglichkeiten der Pubertät befangen sind – und deshalb durchaus selber zu Amokläufern werden könnten – diese aber mit viel Witz, Phantasie und im Austausch mit anderen in den Griff bekommen. Ohne Gewalt. Das ist die Perspektive, die wir zeigen wollen.“
Zur Premiere im TdJW haben sich auch zahlreiche Schulklassen eingefunden. Die Jugendlichen beobachten das Geschehen auf der Bühne, zuerst etwas skeptisch, doch schnell folgen sie jedem Schritt gebannt. Ihre eigenen Probleme und Sorgen werden dort verhandelt, und das gelegentliche Auflachen lässt erahnen, dass sich der Eine oder die Andere angesprochen, vielleicht sogar ertappt fühlt. „Zur Erfahrungswelt junger Menschen gehören Gewalt, Mord, Tod ebenso wie erster Kuss, Prüfungsstress und Pickelcremes. Diese Themen sind im Alltag und in den Medien präsent, um nicht zu sagen überpräsent“, begründet Jakubaschk die Entscheidung, das Stück des frankokanadischen Theaterautors David Paquet zu inszenieren. Im Fokus der Handlung steht nicht der Amokläufer, sondern vier Schüler und ein Lehrer. In einem zeitlichen Abriss werden die letzten Tage der fünf Menschen gezeigt. Statt sich an dem nicht zu beantwortenden „Warum“ der Tat, die sich ereignen wird, abzuarbeiten, konzentriert sich die Inszenierung auf die einzelnen Geschichten und Schicksale, lässt viel Platz zum Lachen, ohne dabei in eine unangemessene Komik abzudriften und stimmt dennoch nachdenklich.
Mit der Premiere von 2 Uhr 14, die gleichzeitig die deutsche Erstaufführung ist, wurde die aktuelle Spielzeit am Theaterhaus am Lindenauer Markt eingeläutet, die unter dem Motto „Suchen“ steht. Suchen ist auch ein zentraler Bestandteil des Stückes – die Suche nach Anerkennung, nach der ersten große Liebe, nach sich selbst. Durch geschickten Umgang mit den Requisiten werden Orte geschaffen. Ob Krankenhauszimmer, Klassenraum oder Wohnung. Mit wenigen Mitteln und viel Fantasie entsteht eine Kulisse, die einen stetigen Wechsel zwischen Handlung, Ort und Person möglich macht. Drei Matratzen, die in eine Versenkung im Bühnenboden eingelassen sind, werden mal zum Wohnzimmerinterieur, mal zur schützenden Wand. Die Bühne steigt nach hinten an, erinnert an eine Halfpipe, die die Schauspieler immer wieder erklimmen, um für die nächste Geschichte Platz zu machen. Der Einsatz von Spinden ermöglicht es den Darstellern, heimlich ins Off zu verschwinden oder wieder aufzutauchen. Durchzogen wird die Erzählstruktur von Einschüben der Mutter des Amokläufers. Unsicher, verängstigt, gekränkt schleicht sie über die Bühne, muss sich immer wieder selbst versichern, dass nicht sie die Schuldige an der bald folgenden Tragödie ist. Über allem thront der Junge, der bald zum Mörder werden soll. In einer Radiostation, von der aus er sich gelegentlich zuschaltet, Musik einspielt oder kommentiert.
Für die Probleme der Schüler und Lehrer, die im Fokus von „2 Uhr 14“ stehen, werden Lösungen gefunden, passend zu Jakubaschks Anliegen: „Das Stück soll im besten Sinne Mut machen.“ Die Worte „Niemand kann mich daran hindern zu lieben“ hängen noch im Raum, als der Minutenzeiger auf 02:14 Uhr umschlägt und sich alle in die für sie schon von Beginn an vorgesehenen Umrisse auf den Boden legen. Mit Gänsehaut auf den Armen, Fragen im Kopf und einem Herz voller Hoffnung werden die Zuschauer aus dem Theater entlassen.
2 Uhr 14
Von David Paquet, aus dem kanadischen Französisch von Frank Weigand, deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Ronny Jakubaschk
Ausstattung: Vera Koch
Musik: Bastian Bandt
Dramaturgie: Lars Krüger
Besetzung: Elisabeth Fues, Katja Göhler, Martin Klemm, Kevin Körber, Sven Reese, Matthias Walter, Anna-Lena Zühlke
Premiere: 21.9.2013, Theater der Jungen Welt
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