Frauen mit Tieren und das Tier im Menschen

In der Ausstellung „Die Schöne und das Biest“ zeigt das Museum der bildenden Künste Werke von Richard Müller, Mel Ramos und Wolfgang Joop

Mel Ramos: Giant Panda,2012, Lithografie, © VG Bild-Kunst Bonn, 2013

Was haben Mel Ramos‘ Pin-up-girls mit dem altmeisterlich-surrealistischen Richard Müller zu tun? Und was sucht der Modedesigner Wolfgang Joop in dieser Runde? Geht der Besucher durch die gerade eröffnete Ausstellung des Museums der bildenden Künste (MdbK), so dauert es eine Weile, bis man die Verbindungen erkennt: Richard Müller (1874-1954) war als Rektor an der Dresdner Kunstakademie federführend bei der Auswahl für die 1933 in Dresden gezeigte Ausstellung „Entartete Kunst“ der Nationalsozialisten. Doch zwei Jahre später schon flog er selber von der Akademie als einer der „Wehrkraft zersetzende Bilder“ malte: Eine russische Tänzerin liegt bei sommerlicher Hitze unbekleidet auf einer Terrasse, einen grünen Sonnenschirm schützend über den Kopf haltend, ihr Körper scheint selber vor Hitze zu glühen. Ihre Scham ist mit einem weißen Taschentuch leicht bedeckt. Um ihr das lange Posieren etwas angenehmer zu gestalten, hat der Maler ihr eine Schale mit Konfekt und anderen Süßigkeiten hingestellt. Sein kleiner Hund sitzt gefällig an ihren Füßen. – Das gefiel seinem Vorgesetzten nicht: „Es gibt eine keusche Nacktheit und eine mondäne Nacktheit mit gemalten Augenbrauen, mit Hündchen und Sonnenschirm und Pralinés. Die ziemt sich nicht für einen Nationalsozialisten. Der Akt stellt an Peinlichkeit das allermeiste weit in den Schatten, das sie als Verfallskunst angreifen,“ schrieb ihm der Staatsminister für Volksbildung Dr. Wilhelm Hartnacke.

Doch jenseits der politischen Auseinandersetzungen hat Richard Müller, dessen graphische Arbeiten stark von Max Klinger geprägt sind – Klinger schenkte ihm, sein Talent erkennend, 1895 eine Radiernadel – ein beeindruckendes und vielschichtiges Werk geschaffen. Frauen und Tiere sind darin die häufigsten Protagonisten: Unbekleidet, mit dem Rücken zum Betrachter steht Circe, die Zauberin in Homers Odyssee, auf der Mosaik-verzierten Terrasse ihrer Villa im Wald, mit einem Fuß noch auf dem leuchtend roten Kleid, dessen sie sich gerade entledigt hat, und bietet einer Schar von wilden Tieren, die scheinbar auf der Flucht sind, aus ihrer linken Hand einige Orangen zu essen an. Die Berge und die dunklen Wolken leuchten dramatisch. Vielleicht ist es kein Nebel, sondern Rauch, der aus dem dunklen Wald aufsteigt. Doch Frau und „Biester“ berühren sich nicht. Die Tiere machen einen Bogen um sie herum, haben ihre Mäuler wild und entsetzt aufgerissen und zeigen ihre scharfen Zähne. Wenngleich die auf dem Boden liegende Orangenschale vermuten lässt, dass eine der „Bestien“ ihr schon aus der Hand gefressen hat, scheint zwischen der Schönen und dem Biest eine unüberbrückbare Kluft bestehen zu bleiben. Berührungsangst oder Unverständnis? Misstrauen oder Unvereinbarkeit? Oder sind diese Tiere vielleicht gerade noch Männer gewesen, die sich Circe ob ihrer Schönheit genähert haben und nun von ihr in Tiere verwandelt wurden, wie sie es mit den Gefährten des Odysseus tat? Hält sie doch ihren Zauberstab noch fest in der rechten Hand. Die Frauen in Müllers Bildern wirken nicht schwach, eher souverän, wartend, fordernd. Am deutlichsten vielleicht in dem Bild einer Frau, die auf einer Wippe stehend das Seil am Nasenring eines Bären zieht – ihn „an der Nase herumführt“.

Richard Müller: Circe, 1933, © VG Bild-Kunst Bonn, 2013

Wenn Hartnacke in dem Entlassungsschreiben meint, dass bei Müller das „Weib als Objekt lüsterner Regungen von Affen, Ameisenbären, Marabus, usw.“ diente, so hatte er zwar nicht ganz Unrecht, blieb damit aber nur an der Oberfläche dieses vielschichtigen Künstlers.

Ähnlich könnte auch ein Kritiker Mel Ramos‘ meinen, er habe sich damit begnügt, Motive für Pin-up-Girl-Kalender zu produzieren oder nach Pop-Art Stil schon bestehende Konsumgüter einfach abzumalen. Während also sein Ost-Küsten-Pendant Andy Warhol Dosensuppe malt, befasst sich Ramos im Geist von Californication und Summer of 69 mit Pin-up-Girls aus Kalendern und Centerfolds aus Zeitschriften à la Playboy. Seine Frau und seine Tochter, die bei der Ausstellungseröffnung auch zugegen waren, haben dem 1935 in Kalifornien geborenen Künstler für zahlreiche seiner Bilder Modell gestanden, etwa in dem Zyklus Animal Panintings.

In einem anderen Zyklus posieren die idealisierten Frauen mit alltäglichen Konsumartikeln die auf Verführung und Sexualität anspielen. So zum Beispiel phallische Symbole, wie Zigarren oder Wein- und Kolaflaschen, große Gläser schaumigen Bieres, oder, wie in jenem Bild, welches Richard Müller zum Verhängnis wurde, mit Süßigkeiten ­– „chewy“ und „fruity“. Dabei geht es Ramos weder darum, selbst Werbung zu produzieren, noch diese Form von Marketing zu kritisieren. Vielmehr fasziniert ihn diese ungebrochene Macht, die der weibliche Körper auszuüben im Stande ist. Diesen Mechanismus will Ramos lediglich mit einem „ironischen Augenzwinkern“ (Belinda Grace Gardner) offenlegen. So lehnt er auch die Unterscheidung von high-art und low-art ab und schreckt nicht davor zurück, Motive aus Zeitschriftenanzeigen, Comics – insgesamt aus der ganzen Unterhaltungs- und Werbeindustrie – zu verwenden und mit ihnen zu spielen: „Es ist mir ein Anliegen, auf berühmte, und weit verbreitete kulturelle Symbole zurückzugreifen. […] Mir ist es wichtig, solche Dinge zu benutzen, die in der Gesellschaft bereits zu Klischees geworden sind.“ Genau dieses Spiel mit Klischees gelingt Ramos besonders gut, wenn er etwa Ikonen der Renaissance-Kunst, wie Botticellis Geburt der Venus zu Englisch Birth of Venus „augenzwinkernd“ zu Berth of Venus – Liegeplatz der Venus abwandelt.

Wolfgang Joop: The Annunciation, 2011, Marmor vergoldet, Besitz des Künstlers, © Wolfgang Joop

Wolfgang Joop (geboren 1944) webt diese unterschiedlichen künstlerischen Positionen und Werke gleichsam zusammen – zunächst als begeisterter Sammler Richard Müllers. Zudem lehrte er einige Jahre an der Berliner Universität der Künste den Akt, besonders aber den Frauenakt. Als Künstler aber hat er einige Gemälde, Stickereien und Skulpturen mit dem wohl menschlichstem Tier – dem Schimpansen – geschaffen. Hier spielt er mit ironisch-satirischen Motiven, auf das „Affentheater“ der Menschen an und baut gleichsam die verbindende Brücke, um jene Distanz von Mensch und Tier beziehungsweise von Frau und Mann, welche Richard Müller immer wieder auszudrücken versuchte, zu überwinden. Möglicherweise eine Form der Katharsis, zu der sich Joop als Modeschöpfer und somit nicht unbeteiligter, aber kritisch-reflektierender Akteur, in diesem Affen-Theater gedrängt sieht. So erlaubt er sich hier auch das, was in der Mode – Joop nannte sie eine „opportunistische Verabredung mit dem Zeitgeist“ – ein No-Go wäre: Kitsch! Oder wie es Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt bezeichnete: „Zuckerbäckerei der Gefühle“. Das satirische und befreiende Moment im Kitsch entdeckt man etwa in „Apes Love“ – ein Bild mit schwerem vergoldeten Rahmen in dem einige Affen sich von Tulpen und Rosen umgeben liebkosen, necken, grinsen und lachen.

Die verbindende Rolle von Wolfgang Joop spiegelt sich auch in der räumlichen Gestaltung der Ausstellung wieder. Während Mel Ramos (53 Bilder, eine Skulptur) und Richard Müller (80 Bilder und Graphiken) hauptsächlich in entgegengesetzten Räumen ausgestellt sind, treffen und berühren sie sich im mittlerem Raum, in dem Joops Arbeiten sie wie ein Rahmen umgeben.

Der Besuch lohnt sich. Nicht nur der dort gezeigten künstlerischen Positionen wegen, sondern auch, um zu erfahren, welche Vorstellung von Kunst einer der wesentlichen Protagonisten der NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ hatte. Ein kurzer Dokumentarfilm gibt einige Einblicke. Angenehm sind auch die Farbversuche mit den Ausstellungswänden. Einige Wände sind weinrot, andere cremefarben. Der „white cube“ – ein komplett weißer Ausstellungsraum – passt eben nicht immer.

Mit dem Hinweis auf die vielen unbekleideten Frauen in den hier gezeigten Bildern warfen einige Kritiker dem MdbK Sexismus vor. Andere sahen die Haltung des Museums zu „dem Nazi Richard Müller“ nicht kritisch genug, ja geradezu apologetisch. Das sind Themen, die auch ein Museum nicht aus den Augen verlieren sollte. Andererseits dürfen diese auch nicht zum Diktat werden. Das MdbK hat es gewagt, Richard Müller aus dem „Dresdner Giftschrank“, in den er nach dem Krieg gesteckt worden war, zu holen. Somit handelt es sich um die erste große Ausstellung mit Richard Müller in der Bundesrepublik und eine der raren Gelegenheiten, eine zu hinterfragende Gegenposition zu Künstlern wie Emil Nolde und Otto Dix zu entdecken.

Die Schöne und das Biest
Richard Müller & Mel Ramos & Wolfgang Joop

Wer eine griechische Zwei-Euro-Münze mit dem Motiv Europa auf dem Stier mitbringt, kommt zum halben Preis in die Ausstellung.

13. Oktober 2013 bis 12. Januar 2014, Museum der bildenden Künste Leipzig

www.mdbk.de

Ein Kommentar anzeigen

  1. Müller war kein Nazi. Er war politisch eher naiv. Das haben umfangreiche Rechercherchen ergeben. Er hat sich 1933 von den Nazis vereinnahmen lassen, weil er in deren Kunstauffassung Parallelen zu seiner eigenen sah. 1935 musste er diesen Irrtum einsehen als man ihn als Rektor der Dresdner Akademie entließ.

    Er hatte 1935 immerhin die seltene Courage, aus der NSDAP auszutreten. Er hatte sich 1933 durch sein allzu forsches Auftreten Feinde in Dresden gemacht, die sich nach dem Krieg rächten und alles taten, um ihn zu desavouieren. Müllers Auseinandersetztung mit den Expressionisten war eine fachliche, die in der DDR mit ihm eine politische. Wir hatten in Dresden bis 1974 eine Kunsthandlung, in deren Schaufenster 1972

    eine Grafik von Müller ausgestellt war. Müllers Intimfeind und Dix Biograf Dr. Fritz Löffler (NSDAP 1937-1945) sah das und eilte bis ins Dresdner Rathaus um uns verbieten zu lassen, diese Grafik auszustellen. Nur soviel zur bizarren Atmosphäre im DDR-Dresden.

    Mehr s. http://www.saxonia.com/mueller.htm

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