Was Langnasen gut finden

„As Time Goes By in Shanghai“ – eine Hommage an die Beständigkeit des Jazz

Der wohl ältesten Jazzband der Welt hat Uli Gaulke seine Doku „As Time Goes By In Shanghai“ gewidmet (Foto: Verleih)

You must remember this
A kiss is still a kiss,
A sigh is just a sigh.
The fundamental things apply
As time goes by.

(H. Hupfeld)

Zu diesen „fundamental things“ die alle Zeit überdauern, gehört zweifelsfrei die Musik. Im Dokumentarfilm As Time Goes By in Shanghai genau genommen Jazzmusik, die das Leben der Protagonisten Zhengzhen Bao (Drums), Honglin Gao (Tenorsaxofon), Mingkang Li (Bass), Jibin Sun (Saxofon), Jingyu Zhang (Piano), Mengqiang Lu (Trompete) und Xueqiang Xiao durchweg begleitet. Auch wenn es in Uli Gaulkes Dokfilm weniger um „Küsse“ und „Seufzer“ geht, wie etwa in Curtiz‘ allseits bekannten Filmklassiker Casablanca, der diesem Jazzlied zum Kassenschlager und Standardsong verholfen hat, sehenswert ist er in jedem Falle!

Mit dem Aufbau des Films haben sich die Macher nicht gerade selbst übertroffen. Den Rahmen der Dokumentation bildet ein Auftritt der Peace Hotel Old Jazzband beim North Sea Jazzfestival in Rotterdam. Damit beginnt der Film und endet er. Aber gerade diese Unspektakularität macht den Film zu einer echten Perle und hebt sich angenehm ab von zu vielen Filmen, die oft den Eindruck von viel Lärm um Nichts machen. Spannend ist eben nicht das Spektakel! Nicht die Tatsache, dass fünf bereits sehr betuchte Herren (der Älteste ist über 90) als die ― vielleicht, vielleicht auch nicht ― älteste Jazzband der Welt nach Rotterdam reisen. Spannend sind die Menschen, um die es geht und deren Geschichten, die der Film erzählt, die sie selbst erzählen. „Die Musik ist der vollkommenste Typus der Kunst: Sie verrät nie ihr letztes Geheimnis“ (Oscar Wilde). Dieses letzte Geheimnis sitzt auch in den Gesichtern der Musiker. Es ist, als seien sie die Musik selbst. Das wohl Interessanteste am Film: Die Sprache des nicht Gesprochenen.

Die Band im Dokumentarfilm steht im Kontrast zur Schnelllebigkeit und Dichte der größten Industrie- und Hafenstadt der Volksrepublik China. Die Stadt wirkt im Näherbetrachten der Protagonisten plötzlich seltsam verlangsamt und ungewöhnlich leer. Dreh- und Angelpunkt ist die Musik und nicht deren zu gewinnender wirtschaftlicher Nutzen. Das zeigt sich auch darin, dass die Mitglieder der angeblich berühmtesten Jazzband Shanghais dem Film nach zu urteilen nicht gerade im übermäßigen Wohlstand zu leben scheinen. Die Musik der Fünf stellt sich entspannt gegen die rasante Entwicklung einer Stadt.

Eins der Bandmitglieder kommentiert anfängliche Bedenken, die Einladung zum North Sea Jazz Festival anzunehmen, mit den Worten: „Es ist so, als ob man eine alte Schallplatte hört. Die Langnasen werden es schon gut finden.“ Und er hat recht! Der ganze Film atmet das Flair einer Langspielplatte, die in ihrer Umständlichkeit trotzdem zum Verweilen und Genießen einlädt. Jedes Knacken und Leiern wird hingenommen, akzeptiert und als zugehörig angenommen.

Shanghai gilt nun nicht gerade als die Wiege des Jazz, ist aber gerade deswegen so interessant. Unvermeidbar ist da natürlich die Thematik der chinesischen Kulturrevolution unter Mao Zedong, die in ihrer Bezeichnung auf Unwissende noch immer einen viel zu positiven Anstrich hat. Allerdings sind die Stimmen der Bandmitglieder was diesen Teil ihrer Geschichte ausmacht, doch recht verhalten. Jibin Sun sagt „Die Zeit heilt alle Wunden“, das Vergangene soll ruhen. Das kam einem dann doch irgendwie bekannt vor.

Molière hat einmal gesagt: „Nichts nützt dem Staat mehr als die Musik.“ Umgekehrt ließe sich vielleicht auch sagen: Nichts schadet dem Staat mehr als Musik, zumindest in bestimmten politischen Systemen und Zeiten. Musik ist eben nie einfach nur Musik, sondern immer auch Sprache und Expression. Besonders bewegend kommt dies in den Worten von Zhengzhen Bao einher, wenn er davon berichtet, dass Beethovens Fünfte im Radio, dass Ende der Kulturrevolution einläutete. Angesichts dieser Geschichte erscheint es spannend und sinnvoll darüber nachzudenken, welche Rolle die Musik für uns in unserer Zeit eigentlich (noch) hat? Und ob da nicht irgendetwas verloren gegangen ist …

As time goes by: Der Film zeigt auch, wie der Jazz in Shanghai weiterlebt, wie er sich weiterentwickelt hat, neu definiert und formiert parallel zur Entwicklung der Stadt. Er zeigt durchaus Differenzen zwischen „dem alten Stab“ und den jüngeren Musikern, aber auch die Bereitschaft aufeinander zuzugehen und miteinander zu spielen. Etwas, was politisch selten möglich zu sein scheint. Eine echte Entdeckung dabei war die Sängerin Jasmine Chen, die zu meinem größten Bedauern als Musikerin im weltweiten Web nicht vertreten zu sein scheint. Höchst Bedauerlich! Ich werde Herrn Gaulke brieflich darum bitten, schnellstmöglich einen Soundtrack zum Film zu veröffentlichen. Bis dahin heißt es: Geduld ist eine Tugend. Play: You must remember this …

As Time Goes By In Shanghai

Deutschland/China/Niederlande 2013, 93 Minuten

Regie: Uli Gaulke; Darsteller: Zhengzhen Bao, Jasmine Chen, Honglin Gao

Kinostart: 28. November 2013


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