Mann ohne Geschichte

„Houston“ von Bastian Günther ist wie seine Hauptfigur schwer fassbar

Ulrich Tukur spielt den Headhunter Clemens Trunschka, den es für einen Auftrag seiner Firma nach Houston verschlägt (Foto: Verleih)

Houston beginnt mit einer Szene im Auto. Genauer gesagt mit einer Testfahrt auf einer Rennstrecke. Nah am Tempolimit wird das eingeleitet, was ein klassisches Roadmovie werden könnte: die Sinnsuche eines Mannes, welcher sich auf eine lange Reise voller Einsamkeit und Begegnungen begibt, am Ende irgendwo ankommt und sich selbst gefunden hat. Zwischendrin wunderschöne Landschaftsaufnahmen, vertont mit eindringlichen Gitarrenklängen à la Ry Cooder in Paris, Texas. Doch so einfach funktioniert Bastian Günthers Film nicht.

Clemens Trunschka ist Headhunter. Außerdem ist er Alkoholiker. Von einem deutschen Automobilkonzern erhält er den Auftrag, den Vorsitzenden der amerikanischen Firma Houston Petrol abzuwerben. An diesen Steve Ringer aber ist mit einfachen Mitteln nicht heran zu kommen. Und so macht sich Trunschka auf eine merkwürdig-dedektivische Reise nach Houston. Die Suche nach Ringer wird dabei von der Suche nach einem Neuanfang für den zerbrechenden Hauptcharakter durchkreuzt.

Vom Sonnenlicht angestrahlt erscheinen die monströsen Betonriesen, die das Stadtbild Houstons prägen, wie eine urbane Utopie. Klassische Sehnsuchtsbilder der USA, Hopper-Szenerien vom einsamen Menschen in der Großstadt, werden den sterilen Büroräume in Trunschkas deutscher Heimat gegenübergestellt, in deren Kunstlicht Sektionssaal-Atmosphäre entsteht. Die in Deutschland gedrehten Szenen bringen die Handlung in Gang und ähneln einem Fernsehfilm der öffentlich-rechtlichen Sender mit aus Tatort & Co. bekannten Gesichtern: Ulrich Tukur als Trunschka, Wolfram Koch als sein Boss Borgmann und Jenny Schily als Ehefrau. Wo in Deutschland biedere Stehpartys im edlen Zwirn mit Häppchen und teurem Wein gefeiert werden, sitzt man in Houston gesellig in Bars und trinkt Hochprozentiges.

Mit feinen bildgestalterischen Handgriffen werden die gegensätzlichen Stilisierungen Deutschlands und der USA geschaffen. Das Visuelle offenbart einen besonderen Zugang zum Charakter Trunschkas, zeigt ihn oft in nahen und Detaileinstellungen, teilweise in Ansichten der Stadt übergehend. Bisweilen aber wird die Bildebene überladen, scheint vor Fülle schier zu platzen. Trunschka bleibt eine leere Hülle, hinter der es nichts zu fassen gibt. Ein Mann, für den man weder Sympathie noch Antipathie empfinden kann. Jemand, der einen schlichtweg nicht kümmert, der nicht das Fesselnde einer gewöhnlichen Hauptfigur hat. Ein Mann ohne wirkliche Geschichte, die Hassliebe zum Alkohol als einzig reizvollen Aspekt. Der Rausch aber reißt nicht mit, wird nicht intensiv erlebbar und lässt den Zugang zu Trunschka verschlossen.

Offener ist die Figur Wagners (Garret Dillahunt) gehalten. Nach einer zufälligen Begegnung in einer Bar drängt er sich Trunschka zum Freund auf, begleitet diesen auf seiner Suche nach Ringer. Dabei aber ist er immer etwas zu viel von allem und spielt auf diese Weise herrlich mit amerikanischen Klischees: zu aufgesetzt, zu aufdringlich, zu freundlich, zu mitteilungsbedürftig, zu verzweifelt. Ebenso wie Trunschka ist er austauschbar, nur eine beliebige Figur in den Fängen der Wirtschaft und in einem Job, der mehr fordert als er abwirft. Beide können dabei nur verlieren: Geld, ihre Familien aber vor allem sich selbst.

Dennoch muss es immer weiter gehen, immer höher. Das macht auch die Gehirnwäsche-CD in Trunschkas Autoradio klar: „Die Welt kommt nur durch die voran, die mehr tun, als von ihnen verlangt wird.“ Eine Beschreibung, die perfekt auf das Phantom Ringer passt. Die Jagd auf ihn ist zunächst bloßes Geschäft, wird aber nach Trunschkas Abzug von diesem Fall mehr und mehr zum persönlichen Anliegen. Er ist unerreichbar und in seinem Metier ähnlich gehyped wie es Steve Jobs war. Abgeschirmt wie in einem Hochsicherheitstrakt verkörpert Ringer eine Kultfigur, von der niemand so genau weiß, warum und wofür man sie bewundert. Er ist Abbild derer, die unter sich bleiben wollen, die Augen vorm Übel der Welt verschließen, auf nichts als Profit aus sind und sich hinter anonymen Masken verstecken. Trunschka will hinter diese Maske blicken und zugleich sein eigenes Leben wieder in geordnete Bahnen lenken. Houston lässt ihn dabei weder scheitern noch gewinnen. Breit sind die Ansätze, vielfach die Motive, die der Film zwar aufgreift, aber nicht scharf genug modelliert. Und so fehlt am Ende der 107 Minuten Laufzeit ein Puzzlestück, will sich das Gesehene nicht zu einem Benennbaren fügen.

Houston

USA/Deutschland 2012, 107 Minuten

Regie: Bastian Günther; Darsteller: Ulrich Tukur, Wolfram Koch, Garret Dillahunt

Kinostart: 5. Dezember 2013


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