Bindung, Trennung, der alltägliche Wahnsinn: „For the Disconnected Child“ in der Schaubühne Berlin
Eine Welt voller bindungsunfähiger Menschen. Das klassische Familienmodell ist die Ausnahme geworden! Die Frage ist, warum unsere Gesellschaft in der Regel noch dem klassischen Familienmodell hinterherläuft. Das Anfangsversprechen „für immer zusammen leben zu wollen“ wird immer noch vergeben, trotz der Realität unserer Single-, Dinks- und Patchworkgesellschaft. Da fragt man sich, warum wir nicht endlich die Theorie der Realität anpassen. Warum sich immer wieder eine Beziehung versprechen, wenn man fast davon ausgehen muss, dass diese Beziehung scheitert. Warum immer wieder unseren Kindern das feste Familienleben versprechen, wenn man annehmen muss, dass man sie irgendwann in ihren, durch uns suggerierten Grundfesten erschüttern wird.
Mit diesen Fragen beschäftigt sich Falk Richters Stück For the disconnectet child leider nicht. Es bleibt in der Bestandsaufnahme unserer Welt der alleinerziehenden Mütter, bindungsunfähiger Männer, der hilflosen Großeltern und alleingelassener Kinder stecken. Eugen Onegin von Peter Tschaikowski ist der historische Pate für Männer, die jede feste Bindung ablehnen. For the disconnectet child nimmt die Perspektive der bindungsunfähigen Männer von Tschaikowskis Oper ein. Die Frauen sind meist hysterisch überdreht, unfähig sich selbst, in einer Trennungssituation zu Recht zu finden. Richter bedient alle gängigen Klischees. Neben der historischen Musik von Tschaikowski illustrieren die neuen Kompositionen die rasenden Aktionen auf der Bühne. Interessant, gut gemacht ist das Bühnenbild. Wohn-und Schlafzimmer sind in zwei Etagen übereinandergestapelt, Rückprojektionen werfen Videos und Bilder auf die Zimmerwände.
Das Stück kombiniert Musiktheater, Tanz, Sprechtheater, Neue und Historische Musik. Die Musiker und das Orchester werden geschickt in das Geschehen einbezogen. Das Stück hat sich in Berlin ein großes Publikum erspielt, weil es gute Unterhaltung ist, weil es Themen unserer Zeit anspricht ohne zu problematisieren, ohne den Zeigefinger zu heben. Einfach mal zwei Stunden über die eigenen Probleme lachen, den Kopf kann man sich dann ja zu Hause wieder zerbrechen oder man lacht einfach weiter…
„For the Disconnected Child“
Text, Regie und Choreographie: Falk Richter
Komposition von Malte Beckenbach, Achim Bornhoeft, Oliver Frick, Helgi Hrafn Jónsson, Jan Kopp, Jörg Mainka, Oliver Prechtl
Dirigent: Wolfram-Maria Märtig
Darsteller: Franz Hartwig, Ursina Lardi, Stefan Stern, Tilman Strauß, Luise Wolfram
Tänzer Steven Michel, Franz Rogowski, Jorijn Vriesendorp
Sänger: Narine Yeghiyan, Helgi Hrafn Jónsson, Borjana Mateewa, Gyula Orendt
Musiker der Staatskapelle Berlin und der Orchesterakademie bei der Staatskapelle Berlin
Koproduktion mit der Staatsoper im Schiller Theater
Uraufführung: 22. Oktober 2013, Schaubühne Berlin
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