Drei Mal Strawinsky

Mit unterschiedlichsten Interpretationen von „Le sacre du printemps“ eröffnet zum 23. Mal das Theater- und Tanzfestival Euro-Scene Leipzig

„Sacre“ von David Wampach, Montpellier (Foto: Euro-Scene)

Igor Strawinskys Ballett „Le sacre du printemps“ („Das Frühlingsopfer“) gilt als das bedeutendste Tanzstück des 20. Jahrhunderts. 1913 in Paris uraufgeführt, entfachte es dort aufgrund seiner Ungewöhnlichkeit sogleich einen Skandal. Heute, genau 100 Jahre nach besagter Uraufführung, zeigt sich vor allem eins: Wie wandelbar und zeitlos Strawinskys Komposition ist.

Zum Eröffnungsabend der diesjährigen euro-scene Leipzig sind gleich drei Interpretationen von „Le sacre“ auf der großen Bühne des Schauspiels Leipzig zu sehen. „Durch das Bühnenjubiläum finden sich momentan viele verschiedene Adaptionen in ganz Europa. Es gibt wirklich sehr moderne und interessante Versionen“, sagt Festivaldirektorin Ann-Elisabeth Wolff. Die getroffene Auswahl zeigt sich an diesem Abend als sehr gelungen. Drei Mal Strawinsky, drei vollkommen unterschiedliche Tanzstücke.

Außer Atem gebracht

Befremdlich geht es los mit „Sacre“, einer französischen Performance des Choreographen David Wampach. Das Besondere an dem Stück mit zwei Tänzern: Es kommt ohne Strawinskys Musik aus. Lediglich sphärische Klänge sind gelegentlich zu vernehmen, das leise Auftreten der Füße und das trockene Kratzen der Körper an der granitgrauen Wand.

Der für „Le sacre du printemps“ typische Rhythmus wird durch lautes Atmen der Tänzer definiert. Mit weit aufgerissenen Mündern bewegen sie sich über die Bühne, bringen mit den unterschiedlich langen und lauten Atemstößen Emotionen zum Ausdruck. Trotz fehlender Musik zeigt sich dem Zuschauer so trotzdem der Rhythmus der Komposition.

In diesem ungewöhnlichen Bild ­− Tanz ohne Musik − ergehen sich die Tänzer in einem stetigen Wechsel aus extremer Körperspannung und dem schlaffen Zusammensinken der Leiber. Zuerst jeder für sich, kommen die beiden Tänzer in der zweiten Hälfte des Stückes zusammen, verschlingen sich ihre Körper ineinander und stoßen ihren Atem aus wie einen gelernten Text.

Dem sonst so anmutigen Tanz wird in Wampachs „Sacre“ alles Edle genommen. Was sich auf der Bühne zeigt, wirkt rau, fast schon animalisch. Die Stärke der Performance liegt in der Mischung aus sanftem Herantasten an Strawinskys Rhythmus und groteskem Verzerren.

Körperprojektionen − Projektionskörper

Die zweite Inszenierung des Abends steht im klaren Kontrast zur ersten. „Hunt“, ein Tanzsolo des Finnen Tero Saarinen, zeigt sich leidenschaftlich und ästhetisch. Mit einer Mischung aus präzisem Tanz und dem Einsatz von Multimediakunst fragt der Choreograph, der gleichzeitig Tänzer ist, nach dem Wesen von Körperlichkeit, Erinnerung und Identität. Zum Einsatz kommt dabei die musikalische Umsetzung des Philharmonia Orchestra London unter Dirigent Esa-Pekka Salonen.

Sonniges Licht durchflutet die Bühne, lässt den Tänzerkörper lange Schatten in alle Richtungen werfen. Überhaupt scheint das Licht eine wichtige Rolle in „Hunt“ einzunehmen. Es formt den Raum, schafft Dreidimensionalität und Tiefe. Und es kleidet ein: Durch den geschickten Einsatz eines Beamers wird der Körper Saarinens zur Projektionsfläche. Von der Körpermitte ausgehend breiten sich die Lichtbilder aus, bis sie die gesamte Haut bedecken. Still steht der Tänzer da, lässt das Licht auf sich tanzen. In einem Zusammenspiel aus Tanz, Licht und Projektionen entstehen so beeindruckende Bilder.

Afrikanische Rhythmen

Nach einem Tanzduo und einem Solo folgt als dritter Teil des Abends ein Stück mit zwölf Tänzern aus Frankreich unter Leitung des Choreographen George Momboye. Wie seine musikalische Vorlage heißt es „Le sacre du printemps“.

Nach und nach erscheinen die Tänzer auf der Bühne, einer gibt den Rhythmus vor, die anderen stimmen mit Fußstampfen ein. So bewegen sie sich über die Bühne, zunächst jeder für sich und doch im Gleichschritt. Sie tanzen zu Strawinskys Musik (New York Philarmonic Cleveland Orchestra, Dirigent: Pierre Boulez) und muten dabei afrikanisch an. Kleidung, Hautfarbe und Bewegungen der Tänzer wecken Assoziationen an Tänze des Schwarzen Kontinents, was typisch ist für Momboyes Choreographien. In seinen Arbeiten verschmilzt westliche Moderne mit afrikanischen Einflüssen, und lässt so inhaltliche Doppeldeutungen zu. Natur, Riten aber auch Unterdrückung und Kolonialherschafft spielen thematische eine Rolle in der Inszenierung. Mit viel Kraft und Ausdruck zeigt sich Momboyes Choreographie trotz des afrikanischen Einflusses als klassischstes Stück des Abends.

Euro-Scene Leipzig

23. Festival zeitgenössischen europäischen Theaters

„Le sacre du printemps“ („Das Frühlingsopfer“)

Drei Tanzstücke nach Igor Strawinsky mit Choreografien von David Wampach // Tero Saarinen // Georges Momboye

Schauspiel Leipzig, 5. November 2013

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