Zum Auffressen schön

„Wo die wilden Kerle wohnen“ ist eines der schönsten Kinderbücher. Zum 50. Jubiläum bringt der Diogenes Verlag eine edle Neuausgabe auf den Markt

Man erinnert sich an Kindergartentage und unendlich erscheinende Wartezimmerzeiten beim Kinderarzt. Neben den Bauklötzen lagen in der Bücherkiste mit ziemlicher Sicherheit immer zwei Bände: Die Raupe Nimmersatt von Eric Carle und Maurice Sendaks Wo die wilden Kerle wohnen. Während ersteres Buch so zweifelsfrei für Kinder gestaltet war wie nur irgend möglich, umschwirrte Sendaks etwas mehr als 300 Worte lange Geschichte eine auf Kinder etwas merkwürdige, aber nicht weniger faszinierende Aura. Das liegt mitunter daran, dass die Welt der wilden Kerle, in die der kleine Max in seinem Wolfskostüm nach einem Streit mit seiner Mutter („Ich fress dich auf!“) flüchtet, sich nicht einfach so selbst erklärt.

Ob der Krachmacher-Wald, der in Max’ Zimmer erwächst, nun real existent ist oder nicht, spielt widerum für die Botschaft des Buchs keine große Rolle, obwohl diese Uneindeutigkeit Kinder gleichzeitig zu fordern vermag. Und auch die wilden Kerle sind keine quirlig bunten, dauergrinsenden Wesen, die ein kindliches Gemüt sofort für sich gewinnt. Vielleicht muss man es doch so sagen: Erst in der Rückschau wird einem tatsächlich bewusst, was man an Sendaks bekanntestem Buch so sehr mochte, während man es zu jener Zeit nur mit einem Gefühl des Befremdens (aber ohne Scheu und Ablehnung) zur Kenntnis nahm.

Spike Jonze hat vor vier Jahren aus wenigen Worten einen zutiefst bewegenden, narratologisch perfekten Film gemacht, bei dem sich dem jüngeren Publikum auch wieder größere Verständnishürden in den Weg stellten. Die wilden Kerle trugen Neurosen und Beziehungsprobleme mit sich herum, die man sonst höchstens aus Woody-Allen- aber nicht aus Kinderfilmen kannte. Auch die klassische Story-twist-Dramaturgie der üblichen Kinderleinwandabenteuer war kaum bis gar nicht vorhanden. Statt dessen baute man auf episodenartige Dialogszenen, die nur langsam den Kern des Films frei setzten.

Somit sind sowohl Film als auch Buch zeitlose, ungewöhnliche literarische bzw. cineastische Erfahrungsmöglichkeiten für ein sehr junges Publikum, bei denen kein Erwachsener ausgeschlossen wird. Umso besser, dass der Diogenes Verlag nun eine optisch wie haptisch leicht optimierte Variante (Buchumschlag, edlere Bindung) zum 50. Geburtstag dieses Kinderbuchs auf den Markt gebracht hat. Zwischen so schick gestalteten Buchdeckeln haben die wilden Kerle bestimmt noch nie gehaust!

Maurice Sendak: Wo die wilden Kerle wohnen

gebundene Ausgabe zum 50. Jubiläum

Diogenes

Zürich 2013

40 S. – 19,90 Euro


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