Die Band „Ja, Panik!“ gastiert im Conne Island
Im Rücken des Publikums, welches die Vorband neugierig beäugt, steht Andreas Spechtl und raucht. Anders als bei jeder anderen Person, die jene auf Popkonzerten mehr als banale Geste vollführt, läuft die groupiehafte Projektionsmaschine beim Blick auf den Sänger der Band Ja, Panik! auf Hochtouren: Spechtl raucht nicht nur, sondern lebt die adrette Dandyhaftigkeit. Spechtl applaudiert nicht nur, sondern erweist dabei der Definition von kultiviertem Chic die Ehre.
Im Gegensatz zum letzten Auftritt der Band im damals noch Centraltheater genannten größten Theaterhaus Leipzigs, mangelt es der Örtlichkeit des Auftritts zwar ein wenig an bürgerlicher Eleganz. Umso mehr jedoch zehrt das Konzert von jener emanzipatorischen und im besten Sinne verwegenen wie politischen Aura des Conne Island, das guten Gewissens als subkulturelle Institution par excellence angesehen werden darf. Zudem unterliegt das Publikum, das beim Theaterauftritt brav und fast regungslos zuschauen musste, hier keinem Tanzverbot.
Zunächst jedoch bewegt es sich ebenso wie der lässige Spechtl beim Auftritt der sympathischen Berliner Band Oum Shatt nur zögerlich. Dabei haben die drei Herren auf der Bühne einerseits wirklich sehr gute Frisuren. Zum anderen ist Sänger Jonas Poppe mit einer wahrlich reizenden Stimme ausgestattet, die er zum eingängigen Post-Rock’n-Roll auch vortrefflich einzusetzen versteht. Mit Oum Shatt fühlt man sich in die goldenen frühen Nullerjahre zurückversetzt: Nette Menschen, die wie britische Kunststudenten ausschauen, spielen ebenso liebreizend angeschrammelte wie lakonische „Indie-Musik“, wie man zu jener Zeit wohl sagte. Das ist angenehm. Ein wenig aus der Zeit gefallen aber, weshalb wohl auch kaum getanzt und nach dem letzten Song verhalten geklatscht wird. Andreas Spechtl verlässt seinen liebgewonnenen Raucherplatz und eilt gen Backstage. Die Bühne und der Saal warten auf ihn.
Mit etwas veränderter Besetzung präsentieren Ja, Panik! an diesem Abend ihr Ende Januar erschienenes Album Libertatia. Album wie Tour wurden gespannt erwartet, denn: Was sollte nach dem unglaublichen, umstürzenden, wütenden DMD KIU LIDT noch kommen? Während die zwei Bandmitglieder Thomas und Christian die Band nach diesem eindrücklichen Manifest gegen die kapitalistischen Zustände und die ihnen immanente menschliche Ohnmacht und Traurigkeit konsequenterweise verließen, konnte die Folge nur lauten: Ein neues Plädoyer, für eine befreite Gesellschaft, die mehr als Utopie sein soll. Und sicher auch für den Versuch der Emanzipation im falschen Ganzen. Folgerichtig muss Spechtl auf der Bühne anders als im Zuge der kritischen Proklamationen auf DMD KIU LIDT nicht viel sagen, außer ein dann und wann ins Publikum gehauchtes „Merci“. Bereits die Wahl des Conne Island spricht für sich, ein passenderer Ort für die Verdeutlichung eines in hiesigen Verhältnissen bestmöglichen, bewussten und empathischen Lebens ist kaum denkbar. So tönt es im wohlbekannten und außergewöhnlich harmonischen Deutsch-Englisch-Gemischmenge dann passend von der Bühne: „Wo wir sind ist immer Libertatia, worldwide befreit von jeder Nation“. Und mindestens die vorderen Reihen singen laut mit. Zum popkulturellen und antinationalen Verständnis des Island passen Ja, Panik! wie die aufklärerische Faust aufs reaktionäre Auge.
Der in der verstaubten Traditionslinken geprägte Spruch von den Verhältnissen, die zum Tanzen gebracht werden sollen, kann zumindest zum Beginn und Ende des Konzerts kurz wieder ausgepackt werden: Libertatia ist auch live als wohlmeinende Aufforderung zu verstehen, sich zur teilweise überaus tanzbaren, an Funk, Soul und Pop orientierten Musik zu bewegen. „Zwing sie zum Tanzen“ haucht Spechtl in seinem eigenwilligen, stakkatoartigen Stil im Song „Dance the ECB“ ins Mikro – und auch die Gäste auf den Podesten ringsum folgen. Die Widersprüche, Ambivalenz und Verzweiflung der Vorgängeralben sind auf „Libertatia“ scheinbar passé. Das wird umso deutlicher, als Ja, Panik! von Zorn und Leidenschaft geprägte ältere Songs wie „Alles hin“ ins Live-Set einflechten – um gleich darauf ein Stück wie „Antananarivo“ zu präsentieren, das kritischere Zeitgenossen zumindest musikalisch in einer Liga mit Virginia Jetzt verorten würden. Doch Schlager muss nichts Schlechtes sein, schließlich kann man es erstens anders nennen und dazu zweitens auch im Conne Island säuselnd und wogend allerlei betörenden Vorstellungen folgen.
Zudem ist bei Ja, Panik, anders als beispielsweise bei Tocotronics Wandel von „K.O.O.K“ zu „Pure Vernunft darf niemals siegen“, ein romantisch-regressiver Backlash ja glücklicherweise ausgeblieben. Dem zwischen links-schick und angesagt-verlottert oszillierenden Publikum jedoch sind die gefälligeren Stücke des neuen Albums noch nicht ganz geheuer, verhelfen gegen Mitte des Auftritts zumindest weniger zu einer angenehmen oder gar ausgelassenen Atmosphäre als die späteren Zugaben „Thomas sagt“ oder „Evening Sun“. Das Theater, muss man konstatieren, hätte hier besser gepasst. Der letzte Song des Abends jedoch, ein von Spechtl akustisch präsentiertes „Nevermind“, versöhnt die schlagerskeptischen und tanzunwilligen Gemüter wieder. Sollten sich Ja, Panik! ihrer selbst entworfenen Rolle als neuerdings funky antikapitalistische Schlagertanzkapelle weiter fügen wollen, kann am Live-Auftritt durchaus noch gefeilt werden. Aussagen und Inhalte der Band sind ja ohnehin über alles erhaben. Mit Andreas Spechtl würde man gern mal eine Zigarette rauchen.
Ja, Panik!
12.02.2014, Conne Island
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