Mit der Inszenierung von „Antigone“ macht Schauspiel-Intendant Enrico Lübbe Lust auf dergleichen Mehr
Freitag, 11 Uhr. Schülervorstellung von Sophokles‘ Antigone. „Is das n‘geiler Raum“ tönt es aus den hinteren Reihen, als sich nach dem gerade geöffneten roten Vorhang ein metallenes Tor langsam hebt und das Bühnenbild sichtbar wird. Kalt und steril bietet ein in felsgrau gefasstes Rechteck die Szenerie für das antike Drama in neuer Fassung. Völlig befreit von überflüssigen Requisiten ist die Bühne frei für das Spiel der DarstellerInnen.
Antigone tritt zuerst auf, groß, selbstbewusst und stark. Mit ihrem Monolog zu Beginn nimmt sie die ZuschauerInnen sogleich für sich ein. Kurz darauf folgt der Auftritt ihres Gegenspielers Kreon: Dieser ist klein, wirkt gegen Antigone geradezu winzig, möchte man sagen. Dass der Regisseur sich bei der Besetzung der Rollen nicht an sonst übliche Theatervorgaben gehalten hat, macht das Stück schon jetzt interessant. Es folgt eine Reihe von Wortgefechten, emotionalen Dialogen voll schreiendem Unverständnis, unsäglicher Sturheit und wahnwitzigem Übermut. Antigone und Kreon stehen sich schäumend vor Wut gegenüber, Kopf an Kopf. Mit inbrünstiger Überzeugung spielt Bernd-Michael Beier den machtbesessenen König Kreon, der auf seine alten Tage den Bogen überspannt: Das Verbot der Bestattung des Polyneikes bringt nicht nur Antigone, sondern auch seine Bevölkerung gegen ihn auf. Diktatorisch hält er an seinem Urteil fest. Antigone (Annett Sawallisch) hingegen kämpft erbarmungslos um Gerechtigkeit für ihren toten Bruder. Im Zusammenspiel der SchauspielerInnen ist ersichtlich, dass das zum großen Teil von Neu-Intendant Enrico Lübbe aus Chemnitz mitgebrachte Ensemble bereits gut aufeinander eingestimmt ist. Für die Dynamik des Stückes ist dies ein Gewinn.
Die Inszenierung der Antigone zeigt jedoch hauptsächlich den Streit der Titelfigur mit Kreon, unterbrochen nur von kurzen Intermezzi mit weiteren Figuren, wie einem der Boten oder Kreons Sohn Haimon. In dem Stück, das wahrlich als kurz und knapp bezeichnet werden kann – bereits nach sechzig Minuten ist das Spektakel vorbei – bleibt daher keine Zeit für eine komplexere Entwicklung der Figuren. Während Antigone nur gewinnen kann, verkörpert Kreon das absolut Böse. Dazu passt auch die rasche Katharsis des Königs nach der Entdeckung, dass sein Verhalten alle ihm nahestehenden Personen nacheinander in den Freitod gestürzt hat. Einer intensiveren Betrachtung der einzelnen, auch widersprüchlichen Charaktermerkmale der antiken Figuren wird kein Raum gegeben. Trotz allem machen die Spielenden und die Gesamtstimmung des Stücks doch Lust darauf, mehr von dieser Art Theater zu sehen. Bleibt abzuwarten, ob die Trickkiste des neuen Schauspiel-Intendanten Enrico Lübbe auch anderes enthält als Komplexitätsreduktion.
Antigone
in der Neuübertragung von Walter Jens
Neuerarbeitung einer Inszenierung der Theater Magdeburg
Regie: Enrico Lübbe
Kostüme: Sabine Blickenstorfer
Licht: Ralf Riechert
Mit: Bernd-Michael Baier, Pina Bergemann, Henriette Cejpek, Andreas Herrmann, Tilo Krügel
Michael Pempelforth, Felix Axel Preißler, Annett Sawallisch
Dramaturgie: Torsten Buß
Schauspiel Leipzig, Premiere: 14. Oktober 2013
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