Die Liebe zum gesprochenen Wort

In den Cammerspielen, irgendwo zwischen Aufregung und Stagnation, Pathos und Gänsehaut liegt „Das blaue blaue Meer“

Fotos: Joachim Berger

Das Publikum nimmt auf gegenüberliegenden Stuhlreihen Platz, der Blick schweift erst durch die Reihen, die sich füllen, dann auf die Bühne in der Mitte. Dort ist auf einem kleinen Hocker ein Miniaturspielplatz aufgestellt. Ein unförmiger Handtuchhaufen liegt vor einem schwarz verkleideten Podest, darauf: viele schwarze Flaschen.

Das Licht geht aus, in der totalen Dunkelheit vernimmt man Kettengeklirr und sieht eine Kerze rot leuchten. Darko (Frederik Rauscher) tritt auf, in schwarzem Anzug und in Ketten gehüllt, an deiesen sind schwarze Flaschen befestigt. Er setzt die Grabkerze auf dem Spielplatz ab und redet über das Saufen. Der Handtuchhaufen entpuppt sich als sein bester Freund (Christopher Goetze), der säuft auch. Es beginnt ein Abend, der von Zerrissenheit geprägt ist, in seinen Themen wie in seiner Erscheinung.

Das blaue blaue Meer von Nis-Momme Stockmann wird in den Cammerspielen zum Besten gegeben, in einer Inszenierung von Dramaturg, Regisseur, selber auch Autor Peter Thiers. Es handelt vom Säufer Darko, der lebt, sich verliebt, Mist baut und sich einen Fuß bricht.

Der Titel doppelt das Hauptthema des Abends, Darko ist Säufer, säuft gerne, säuft viel. Sein Kumpel ist stumpf. Motte (Mila Kragh) ist die Frau, in die sich Darko verliebt, weil sie noch hoffen kann, und träumt. Und Ulrike (Anna Hofer) ist schüchtern stumm in Darko verknallt.

Die Dopplung ist etwas problematisch. Der Text erweist sich als klingend und gut geschrieben, aber sperrig in seiner theatralen Umsetzung. Stets agiert Darko als er selbst, dann in einer ausschweifenden Erzählfunktion. Der Regisseur ist scheinbar überwiegend bemüht, den Text umzusetzen, ohne ihn in seinem Wesen zu beschneiden. Es wird so viel gesprochen, dass die Bewegung auf der Bühne überflüssig erscheint und ein Hörspiel präsentiert wird. Die Darsteller sind alle hervorragend und in ihren Figuren sehr überzeugend, entwickeln aber vorerst kaum Spiel und werden von Satz zu Satz zu Dialog geworfen.

Aber das ist nur zunächst der Fall. Mit der Zeit kommt Ruhe in das Bühnengeschehen, die nicht langweilt, sondern die frustrierende Stagnation der Figuren prägnanter wiedergibt. Die Not, dass etwas passieren muss, um diesem Leben zu entkommen, erhält erst da ihre Berechtigung, und plötzlich fiebert man für Motte, die ans Meer will, und für Darko, der mitkommen mag. Man erlebt Mitleid für Ulrike und ihren Bruder. Man steigt in die Charaktere ein. All das erst dann, als der Text nicht mehr Kern von allem ist, sondern verzichtbares Beiwerk. Denn, um ehrlich zu sein, ist der Text das Beiwerk. Die verhandelten Themen müssen gespielt, nicht erzählt werden. Dann erlangen die Figuren Tiefe und Relevanz.

Den Punkt erreicht das Produktionsteam und dann entsteht die Gänsehaut, die Freude, die Trauer, dann sieht man gerne und unangenehm berührt hin, weil etwas per Bild erzählt wird, was nicht angenehm ist.

Da wird es schön und bedrückend, und dann ergibt mancher Text auch Sinn. „Ist es denn verboten zu hoffen?“, fragt Darko in die Stille. „Ne“, sagt Motte, „aber es bringt halt einfach nichts.“

Das blaue blau Meer

Regie: Peter Thiers

Dramaturgie: Agnes Fink

Besetzung: Christopher Götze, Anna Hofer, Mila Kragh, Frederik Rauscher

Cammerspiele; Premiere: 20. März 2014


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