Runter mit den Masken! Oder besser nicht?

Mit „Molière auf dem Fahrrad“ gelingt Philippe Le Guay eine kurzweilige Hommage an Frankreichs Lieblingsdramatiker

Gauthier (Lambert Wilson) und Serge (Fabrice Luchini) wollen unbedingt Molières „Menschenfeind“ auf die Bühne bringen (Fotos: Alamode Film)

Molière ist eine Allzweckwaffe. Womit ließen sich die Abgründe menschlichen Seins schließlich besser vorführen als mit übersteigerter Komik und Groteske? So lässt sich das Film-Business beispielsweise problemlos mit der heuchlerischen Hofgesellschaft des 17. Jahrhunderts vergleichen, wie Regisseur Philippe Le Guay in seinem neusten Streich Molière auf dem Fahrrad beweist.

Der Plot scheint zunächst simpel: Gauthier (Lambert Wilson) besucht seinen ehemaligen Freund und Schauspielkollegen Serge (Fabrice Luchini) um ihn zu überreden, gemeinsam ein Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Durchkreuzt wird der Besuch von einer Frau, deren abweisendem Charme beide Männer erliegen. Doch nicht nur auf die kühle Francesca (Maya Sansa), sondern auch auf die Hauptrolle der gemeinsamen Theateraufführung haben es beide Protagonisten abgesehen: den Alceste aus Molières „Der Menschenfeind“. Gekonnt verwebt Le Guay mit diesen beiden Handlungssträngen zeitlosen Dramenstoff mit moderner Filmromanze und lässt durch das Spiel mit seinen Figuren nicht nur Serge und Gauthier anwesend sein, sondern als deren Schatten zugleich Alceste und Philinte aus dem „Menschenfeind“.

Von Beginn an ist für Serge klar, dass nur er selbst für die Besetzung des Alceste in Frage kommt. Schließlich folgt er Alcestes Ideal eines Lebens ohne Heuchelei und voller Misanthropie. Auf der malerischen Île de Ré lebt er einsiedlerisch in einem verkommenen Bauernhaus. Von der Filmbranche in die Depression getrieben, ließ er das Dasein als Schauspieler hinter sich und führt ein aufrichtiges, aber einsames Leben. Ihm gegenüber steht Gauthier, der als Fernseharzt im Rampenlicht steht, aber auf diese Rolle reduziert wird. Vom Taxifahrer oder der Hotelière sofort als Docteur Morange erkannt und verehrt, versteckt er sich hinter seiner Rolle. Wie Philinte hält er es in Maßen für dienlich, die Maskerade zu wahren und sich scheinbar den Belangen der Menschen anzunehmen. Die Figur des Philinte aber ist Gauthier nicht zentral genug. Alceste soll es sein!

Die kühle Francesca (Maya Sansa, links) ist nur eines der Hindernisse, das sich ihnen dabei in den Weg stellt

In den Proben zu „Der Menschenfeind“ wechseln sich Serge und Gauthier in der Rollenbesetzung ab. Der Zuschauer erlebt in den insgesamt acht Probenszenen die Figurenentwicklung im Prozess des Schauspielens wie durch ein Schlüsselloch hindurch. Das Bild ist dabei so reduziert, dass es sich auf die beiden Schauspieler und ihre Worte konzentriert. Auf der Suche nach der perfekten Darstellung von Alceste und Philinte duellieren sich Serge und Gauthier in Wortgefechten, debattieren darüber, wie eine Passage zu betonen sei und kritisieren die Rhetorik des jeweils Anderen. In einer Art Schaupielwerkstatt wird probiert, verworfen und beibehalten. Mal brilliert Serge, mal Gauthier. Kurz bevor die Fokussierung auf das gesprochene Wort überstrapaziert wird, unterbrechen Serge und Gauthier die Proben. Die Handlung verlässt die Theaterebene und schreitet zu den Hürden des Alltags über: Serge will sich einer Vasektomie unterziehen; Gauthier ein Haus kaufen; die schöne Francesca steckt mitten in der Scheidung. Es ist eine seltsame Beziehung, die sich zwischen dem Dreigestirn entwickelt, während sich der Konflikt zwischen Serge und Gauthier immer mehr zuspitzt. Längst werden Fragen der Moral verhandelt, paart sich Neid mit Verachtung. Immer weiter dringt Molières Stoff in Serges und Gauthiers Miteinander ein, verstricken sich Schauspielproben und Inselleben. So entwickelt sich vor der rauen, romantischen Kulisse der Île de Ré ein rasender Interessenkonflikt, der gekonnt Molière zitiert, ohne ihn überzudosieren.

Besonders vergnüglich ist es, Fabrice Luchini zuzusehen, der bereits 2007 in Laurent Tirards Molière als trottelig-liebenswerter Monsieur Jourdain brillierte. Ein Maskenspiel par excellence liefert er in Serges Auftritt auf einem Empfang anlässlich des Zustandekommens der gemeinsamen Theaterproduktion: Als Höfling verkleidet radelt er in Kniehose, Herrenrock und federbesetztem Hut zum Austragungsort. Von den Gästen um eine szenische Kostprobe gebeten, entfacht der Streit Gauthiers und Serges um die Rolle des Alceste erneut. In seiner Kostümierung ohnehin aus dem Rahmen der Veranstaltung fallend, denunziert Serge Oberflächlichkeit und Heuchelei der Filmleute mit den Versen Molières. Dessen wird er auch dann nicht müde, als er allein am Strand sitzt und auf den weiten Ozean blickt: „Philinte: So bitter klagen Sie die Menschheit an! Alceste: Ich lernte sie aus tiefster Seele hassen!“ Gauthier hingegen vermag es nicht, des Alceste würdig zu werden. Bei der Stückpremiere vergisst er seinen Text und steht demaskiert vor den Zuschauerrängen.

Durch permanentes Spiel mit Maskierung und Demaskierung sowie der Gegenüberstellung von absurden Situationen und Klischees gelingt Le Guay eine kurzweilige Hommage an Molière. Die Melange aus rasantem Tempo und konzentrierten Momenten, gepaart mit der originellen Verbindung von Theater und Film erzeugt einen Sog, aus dem der Zuschauer am Ende jäh herauskatapultiert wird. Fast möchte man dem Ensemble applaudieren, wenn der Abspann läuft.

Molière auf dem Fahrrad

Frankreich 2013, 104 Minuten

Regie: Philippe Le Guay; Darsteller: Lambert Wilson, Fabrice Luchini, Maya Sansa

Kinostart: 3. April 2014


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