MaerzMusik 2014 scheitert an Beliebigkeit

Dem Berliner Festival für Aktuelle Musik mangelt es an einer starken künstlerische Idee

Mela Meierhans „Shiva for Anne“ ( Fotos: Kai Bienert)

Die reine Summe an guten und exquisiten Zutaten macht noch kein gutes Essen aus, wie auch beim Fußball die bloße Anzahl an teuren Stars keine Garantie für sportlichen Erfolg ist. Das ist eigentlich nichts Neues. Das Team um Matthias Osterwold, dem künstlerischen Leiter der Berliner MaerzMusik, wollte diese Erkenntnis trotzdem nochmal hinterfragen mit dem diesjährigen Programm.

In der Ankündigung heißt es, dass man das Festival „in einer notwendig unsystematischen, aber sehr vielseitigen Auswahl“ programmiert hat. Im Mittelpunkt des Festivals steht Berlin „als globalisierten Ort innovativer Musikausübung, dessen internationale Durchmischung seinesgleichen sucht“. Wer solche Worthülsen benutzt (Zitate aus dem Vorwort von Thomas Oberender und Matthias Osterwold), legt selbst den Finger in die Wunde: In diesem Jahr fehlte dem Festival das künstlerisches Konzept.

Franui, Geistervariationen für Schauspieler, Sänger und Musicbanda, ist ein Stück, das auf den Überraschungseffekt setzt. Die Musicbanda Franui macht seit 20 Jahren in einem osttiroler Dorf Musik, das Instrumentarium stammt aus dem Festtags-und Totenfeierarsenal ländlicher Gegenden. Robert Schumanns letztes überliefertes Werk Geistervariationen bietet den Rahmen für 90 Minuten leidenschaftliche (tonale) Musikalität. Weshalb das Stück 2014 hier in Berlin bei MaerzMusik auf dem Programm steht, erschließt sich allerdings nicht, auch geografisch kann man zwischen Berlin und Osttirol keine Verbindung erkennen.

Stück dauert 50 Minuten länger

Mela Meierhans tags darauf im Haus der Berliner Festspiele hat dagegen Verbindungen zu Berlin und zur nationalen und internationalen Neue Musik Szene. Ihr Stück Shiva for Anne ist eine Hommage und zugleich ein Requiem: Mit diesem Musiktheaterstück ehrt die Komponistin Mela Meierhans eine der herausragenden englischsprachigen Dichterinnen der Gegenwart: Anne Blonstein. Aus den angekündigten 70 Minuten werden fast 120. Acht Sängerinnen und Sänger werden von vier Schlagzeugen unterstützt. Ein dauernder Sprechgesang, die Texte werden vom Tablet abgelesen, was etwas gewöhnungsbedürftig ist. Dramaturgisch bietet das Stück sehr wenig, es lebt von der Geräuschwolke der Schlagwerke. Die Sängerinnen und Sänger werden recht hübsch auf einem roten Teppichquadrat choreografiert, die Schlagzeuger überraschen gegen Ende mit Aktionen auf eingestellten Trennwänden. Das Stück hat Potential für 20 bis 30 Minuten konzentrierter Musik, alles darüber hinaus wirkt erdrückend und kreativlos − die Länge ist das Problem. Hinzu kommt, dass man durch die Verlängerung des Stückes um 50 (!) Minuten das nächste Konzert im Naturkundemuseum Berlin verpasst. Was schade ist, da MaerzMusik von den verschiedenen Spielstätten lebt, aber immerhin hat man nun schon die Sophiensäle (Franui) und heute das Haus der Berliner Festspiele erlebt.

Als nächstes lockt das Berghain mit seinem legendären Ruf als einer der besten Clubs Europas. Mit viel Experimentellem hat man diesen Ort belegt. Scenatett, ein Ensemble für Kunst und Musik, präsentierte Stücke von Marianthi Papalexandri-Alexandri, Sarah Nemtsov, Simon Stehen-Andersen und Juliana Hodkinson. Sehr aktuell, wie das Festival für Aktuelle Musik sich im Namen präsentiert, fühlt man sich in dem Konzert nicht. In einem Stück sind alle Musiker mit einer gemeinsamen Saite verbunden, die man improvisierend wechselnd bearbeitet. Ein andermal werden Alltagsdinge wie Schachbrett und andere Einrichtungsgegenstände percussiv traktiert. Gerade die Übertragung solcher Aktionen per Video über eine Leinwand auf die Bühne erinnert sehr an Grenzerweiterungserfahrungen in den 80er-Jahren. Wir werden Zuhörer von mehr oder weniger konzentrierten Geräuschen. Immerhin verträgt das Berghain solche Musik sehr gut, immanente Geräusche des Gebäudes selbst wie das Klappern auf den rohen Stahltreppen werden Teil der Aufführung.

Viele Gäste verlassen das Konzert

Immer wieder wird die Geduld durch lange Umbaupausen strapaziert, das stört wirklich und der Hinweis in der Anmoderation, dass das eben bei Neuer Musik so wäre, ist einfach ärgerlich. Worum geht es denn bei einem Konzertabend? Doch hoffentlich darum, dem Publikum ein angenehmes Erlebnis zu bieten, und nicht darum, möglichst komplizierte Stücke zur Aufführung zu bringen.

Irgendwann jenseits von 22 Uhr beginnt die zweite Session. Roomtone variations von Nicolas Collins, in einer Fassung für Klavier, erinnert an Keith Jarretts Köln Konzert. Wieder fühlt man sich ein wenig in der Vergangenheit. Was die Macher von MaerzMusik bewogen hat eine Tonaufnahme von 1972, Alvin Luciers Stück The Bird of Bremen Flies Trough the Houses of the Burghers, hier im offiziellem Programm abzuspielen, bleibt komplett offen. Viele nutzen hier die Gelegenheit, das Konzert zu verlassen.

Es läuft nicht gut in diesem Jahr. Im 1400 Sitzplätze fassenden Saal der Berliner Philharmonie verlieren sich am nächsten Tag darauf 300 bis 400 Zuhörer. Das inspirierte Programm vereint ausschließlich Klavier und Schlagzeug. Da werden die Flügel mit Cherrygläsern, Malerspachteln und Flummis traktiert. Die Schlagzeuger haben ihr Instrumentarium in Stahlplatten, große Autofederbeine und allerlei Trillergeräte erweitern müssen. Der Humor der Stücke von Katzer, Seiber und anderen tut der tristen von ernsthaften Geräuschen geplagten Festivalgemeinde sehr gut. Voll dagegen ist am nächsten Tag die kultige Volksbühne, die Stücke wieder allesamt so verschieden und geräuschlastig, dass eine herkömmliche Rezension ermüden würde.

Das Fazit von MaerzMusik 2014 ist und bleibt negativ. Die Versprechen der Macher waren so vage, dass man deren Einlösung gar nicht beurteilen kann. Mit Berlin hatte das Festival natürlich als Austragungsort etwas zu tun. Ob es aber eine künstlerische Visitenkarte Berlins war, darf man bewusst in Frage stellen und den vitalen Berliner Musikschaffenden auch nicht wirklich zumuten.

MaerzMusik 2014

Festival für Aktuelle Musik

Nach Berlin! Nach Berlin!

Berlin – Magnet musikalischer Immigration

Berlin, 4. 3. – 23. 3. 2014


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