Mit Papierschere in der Kampfzone

Peggy Neidels Gedichtband „weiß“ ist toll, enthält aber leider ein unnötiges Nachwort

„da sitzt einer mit runzeln/jalousien der innerlichkeit“

Runzeln als Jalousien der Innerlichkeit – nun fürwahr, nicht überall bietet sich so charmant Trost und Nachsicht für das Alter, schon deshalb hat dieser Gedichtband ein Küsschen verdient. Allerdings bittet der weiße Schutzumschlag, der an das Überlappen der Textzeilen auf den alten Farbbändern der Schreibmaschinen erinnert, um Schonung.

„ich bin kein falscher ort/mir fehlt nur die bewegung“

Die Autorin sagt dies vielleicht auch über sich, die vor ihr liegende Wirklichkeit, dinglich wie ein Anatomie-Museum, zombie-ähnliche Menschen warten auf Reparatur. Immer im Präsens, versteht sich, und mit einer sehr lässig angedeuteten Metrik, ohne ungebunden zu sein. Das Vermeiden der Vergangenheitsform und das Schreddern der Idyllen klingt hier freilich mehr nach schreib-ästhetischem Aufruf. Der Abschnitt contemporary soundso thematisiert möglicherweise ein aktuelles Thema, den Menschen aus dem Reagenzglas, ein Aufmacher in den Zeitungen, der künstlich erzeugte Mensch, immerhin spätestens seit Goethes Homunkulus als Entwurf vorhanden.

Aber nicht die eigentlichen Themen der Gedichte sind das herausragendste. Die Entwicklungsängste, angedeuteten Zweisamkeiten („ich kann deine Zunge hören/der stahl reibt sich /an deinen sensoren…“), die Go-Kart-Bahn oder der Spaziergang am Kanal sind beeindruckend, wenn auch nicht, was die Dichterin und ihre Begabung ausmacht. Sprachbegabung fasziniert: Das dichterische Wort, wie gehaucht und angeklungen, und wir wissen nicht, warum es auf eigene Weise in uns übrig bleibt – eben den „Blickfick“ macht. Ob dieses Wort der jugendlichen Umgangssprache, das mit dem Fick die Beglückung meint, in ein paar Jahren noch funktioniert in unserer ordinärer, aber nicht origineller werdenden Welt, wird sich erweisen müssen, wichtig ist uns im Augenblick die Frische im Ton des Gedichts.

Ein freundliche junge Autorin entfaltet ihr Talent, alles könnte so schön sein, aber da lauert noch der Herausgeber und Förderer Herr Jan Kuhlbrodt, der dem Buchhandel und der Literaturgeschichte nun unbedingt was beweisen will, das Wort „Kampfzone“ hat er dazu auf den vorderen Klappentext lanciert. Michel Houellebecq hat neben seinem Roman beachtliche Gedichtbände für den deutschsprachigen Leser übersetzen lassen, der Roman Ausweitung der Kampfzone hat eben dieses Wort besetzt, es ist ähnlich wie das Wort „Elementarteilchen“ für die nächsten Jahre zumindest nahezu sein Markenzeichen. Peggy Neidel sieht die Gegenwart wohl kaum als menschenfeindlichen Ort: „manchmal lässt du mich flügge sein/hebst deinen arm zum spiel/ und spannst mir leinen auf“.

Wir müssen uns in dem so wuchtigen wie unnötigen Abschluss-Essay Kuhlbrodts wirklich unnötige Belehrungen anhören: „Die großen Erzählungen sind am Ende des letzten Jahrhunderts an ihr Ende gelangt.“ Wirklich? Nichts mehr zu erzählen nach Jugoslawien oder dem Krieg in Afghanistan? Mir kommt es so vor, als wenn die narrativen Strukturen geradezu Konjunktur haben werden. Ein Teil der neuen Literatur wird von Flüchtlingen – Flucht vor Krieg, Vergangenheit, Familie oder Partnern und dem eigenen Ich – geschrieben werden, die Schreibenden erzählen ihre Biographien und nicht den experimentellen Roman oder andere Schemen der Philosophie. Außerdem ist es ein bisschen vermessen, nach nicht mal 15 Jahren unseres Jahrhunderts erzählen zu wollen, wie einst das Jahrhundert geht. Es ist auch nicht das Nichts, was Peggy Neidel interpretiert, sondern die uns alle umgebende Welt und Dinglichkeit, die in der Sichtung durch die Poetin so einzigartig wird: Ihre Sprache macht das Besondere daraus: „läuft tonspurknacken wälder lang die stämme hoch“

Die großen Erzählungen schwellen daraus hervor, dass einem Angst wird und die Utopien sind nicht auf Rückzug ins Schneckenhaus, sondern setzen sich in unseren Zeiten religiöse Narrenkappen auf. Aber das alles entgeht Herrn Kuhlbrodt, so hält er es auch für lakonisch, was durchaus mit dem Augenaufschlag des frischen Blickes, der Liebe nicht unverdächtig, in die Zukunft sieht. Lakonisch ist Gabe und zynischer Trost des Alters, wohlgemerkt, das Lachen danach, wenn es zu dunkeln beginnt hinter den Jalousien der Innerlichkeit – davon sei Peggy Neidel noch Äonen, na gut, aber zumindest ein paar Jahre verschont.

Guter Gedichtband!

„Das heißt aber nicht, dass wir jetzt entspannter wären. Es herrscht eine merkwürdige Gereiztheit“, gibt uns der nervige Kuhlbrodt zu bedenken, für die Welt alternder Schreibtischfüchse mag das stimmen: Einfach eine Schere nehmen und dann, ganz Kämpfer in der Kampfzone, den überflüssigen und peinlichen Text Jetztzeit (Seite 68–70) herausschneiden!

Peggy Neidel: weiß

Poetenladen

Leipzig 2013

72 Seiten – 16,80 €


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