Suspense im Stile längst vergangener Zeiten

Jake Gyllenhaal gibt es in „Enemy” von Denis Villeneuve gleich zweimal

Jake Gyllenhaal im Doppelpack: als Adam und Anthony (Foto: Verleih)

Das Bild ist in einen gelblichen, verwaschenen Ton getaucht. Alle Establishing Shots von Toronto sind von einer dünnen Nebelschicht überzogen. Die Musik des Anfangs suggeriert Spannung, Geheimnisvolles. Wir sehen dunkle Räume, nackte Haut, Männeraugen, die sich vor Lust verzehren. Mittendrin taucht Jake Gyllenhaals (Brokeback Mountain, Source Code) Gesicht auf. Ende der Szene. Kompletter Szenenwechsel.

Adam Bell (Jake Gyllenhaal) ist Lehrer für Geschichte. Sein Leben ist einförmig, ohne nennenswerte Vorkommnisse. Er geht in die Schule, abends schaut vielleicht mal seine Freundin Mary (Mélanie Laurent) vorbei. Sie haben Sex, sie verschwindet danach und der Tag beginnt wieder von vorn. Dann erhält Adam von einem Kollegen in einem ziemlich verkrampften Gespräch (Geselligkeit gehört augenscheinlich nicht zu seinen Stärken) den Tipp sich den Film Where there’s a Will, there’s a Way anzuschauen. Plötzlich entdeckt er in einer kurzen Szene sein eigenes Gesicht im Bild. Er beschließt dieser Sache nachzugehen und entwickelt dabei eine an Obsession grenzende Leidenschaft. Nachdem er seinen Doppelgänger Anthony endlich getroffen hat, beginnt sich sein Leben schlagartig zu verändern.

Die Geschichte von Enemy basiert auf dem Roman Der Doppelgänger des Nobelpreisträgers José Saramago. Die Idee des Doppelgängers gehört zu einen der ältesten Motive der Literatur. Besonders die deutschen Romantiker zelebrierten sie ausgiebig. Ganze Spaltungen des Ichs konnten so vollzogen werden und Identitätskonflikte ausgetragen werden. Auch hier könnte man dies so deuten, was Zuschauern auch bei einer Szene zwischen Adam und seiner Mutter (die wunderbare Isabella Rossellini in einem Kurzauftritt) nahegelegt wird. Vielleicht aber auch eben nicht. Einiges bleibt am Ende rätselhaft.

Viel entscheidender ist, ob sich der Zuschauer auf die ungewöhnliche und langsame Erzählweise einlassen wird. Mit nur eineinhalb Stunden Laufzeit ist Enemy eigentlich nicht überbordend lang, doch manchmal wirkt die Erzählung zäh. An lange, ruhige Einstellungen und eine langsame Schnittfolge sind unsere Augen heute kaum noch gewöhnt, was schade ist. Zudem gibt es unzählige sich wiederholende Szenen wie viel- oder nichtssagende Blicke in den Spiegel des Protagonisten. Doch wer sich dem öffnet, mag sich vielleicht an die Tradition älterer Suspense-Filme erinnert fühlen. Eine Klasse, wie sie zum Beispiel Alfred Hitchcock (Vertigo, Der unsichtbare Dritte) mit seinen Filmen erreichte, erlangt Enemy freilich nicht. Manche Szenen versprechen mehr, als sie am Ende einlösen können und scheinen teilweise ins Leere zu führen. Der Zuschauer bleibt mit einem Fragezeichen zurück.

Während des Films wiederholen sich die Fragen im Kopf immer wieder: Was passiert wirklich? Was passiert vielleicht nur im Unterbewusstsein von Adam/Anthony? In mancherlei Hinsicht knüpft dieses Mysteriöse an David Lynchs Mulholland Drive oder Christopher Nolans Memento an, Enemy kann aber die Spannung nicht so gelungen ausbauen. Zumindest ist der Zuschauer nach Ende des Films und dessen seltsamer Pointe verwirrt.

Wer sich also auf die arg langsame Erzählweise einlässt, kann danach genüsslich diskutieren. Andere werden angesichts der ins Leere führenden Szenen vielleicht nach einigen Minuten eingeschlafen sein. Ein Film, der sein Publikum spalten wird.

Enemy

Kanada/Spanien 2013, 90 Minuten

Regie: Denis Villeneuve; Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon, Isabella Rossellini

Kinostart: 22. Mai 2014


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