Dschungelbuch: Ringen um die Identität

Das Schauspiel Leipzig verleiht der bekannten Geschichte um das Dschungelkind Mowgli Tiefgang. Lustig ist das Sommerstück im Zoo trotzdem

Fotos: Rolf Arnold

Heute kennt wohl so ziemlich jedes Kind die Geschichte von Mowgli. 1967 veröffentlichte Disney den Zeichentrickfilm Das Dschungelbuch um den von Wölfen im Dschungel aufgezogene Menschenjungen. Millionen Menschen haben ihn gesehen, die meisten viele Male. Wie kann das Schauspiel Leipzig umgehen mit dieser Übermacht von Szenen, Bildern, Melodien?

Zunächst einmal: ganz gut – schon dadurch, dass die Schauspiel-Fassung dem Kenner des Films zwar bekannt vorkommt, aber bereits die Handlung starke Unterschiede aufweist. So ist Mowgli (Sebastian Tessenow) fast erwachsen, als er den Dschungel verlassen muss. Und verlassen muss er ihn nicht nur, weil ihm der Tiger Shir Khan nach dem Leben trachtet, sondern auch wegen seines Rudels, den Wölfen. Ein Gehilfe Shir Khans manipuliert sie so, dass sie ihren einstigen Bruder Mowgli nicht länger als Teil des Wolfsrudels anerkennen.

Die Frage „Wer bin ich?“ ist eins der Leimotive in dieser Bühnenfassung, die Georg Burger und Regisseur Stephan Beer nach der Vorlage von Rudyard Kipling erarbeitet haben. Mowgli und die anderen Figuren stehen immer wieder vor der Frage, was den Wolf zum Wolf macht, was den Mensch zum Menschen. Als Mowgli ins Dorf kommt, unterscheidet sich sein Verhalten so stark von dem anderer Menschen, dass sie sein Mensch-Sein in Frage stellen. Andere wichtige Fragen schließen sich an – etwa die, wem Mowgli vertrauen kann. Auf seiner Suche nach einer neuen Gemeinschaft stößt er auf Affen. Sie nehmen ihn begeistert in ihrer Mitte auf. Auch Mowgli freut sich über die Gesellschaft dieser unbeschwerten, ihm ähnlichen Wesen. Doch als die Affen erfahren, dass er ihnen kein Feuer bringen kann, nehmen sie ihn gefangen.

Trotz aller ernsten Fragen ist das Stück ausgesprochen lustig geworden. Das liegt an den Darstellern, die viel komödiantisches Talent beweisen. Denis Petković als Baghira beispielsweise macht sich den Aufführungsort Zoo zu Nutze, als ein Vogel unerwartet über die Bühne stolziert. Er bindet das Tier mit seinen Kommentaren ein – sehr witzig. Und Andreas Keller spielt Balu zwar als strengen Lehrer, der Mowgli die Gesetze des Dschungels eintrichtern will. Doch als er Kaa (Dirk Lange) zu Hilfe rufen muss, um Mowgli aus den Fängen der Affen zu befreien, zeigt er die Angst vor dem Python so herrlich übertrieben, dass das Publikum vor Lachen fast von den Klappstühlen fällt.

Diese Übertreibung setzt Regisseur Beer auch an anderer Stelle so ein, dass das Stück gewinnt. Zum Beispiel, als Kaa wie eine Art übersinnliches Wesen mit jeder Menge Nebel aus einer Klappe im Boden emporsteigt. Mit Hall in der Stimme singt er ein Schlangenlied, hypnotisiert alle Affen und verschwindet mit ihnen wieder im Boden. Da tut es gut, dass Balu den Verlust der Affen mit einem trockenen „Klappe zu, Affen tot“ kommentiert.

Das Dschungelbuch ist als Stück für die ganze Familie inszeniert. Trotz eines Happy Ends ist es weniger harmlos als die Disney-Variante. Auch die Frage, wer Freund und wer Feind ist, beantwortet es weniger eindeutig. Dem Stück nutzt das, weil es dadurch interessanter wird. Eltern sollten sich aber überlegen, ob ihre Kinder mit dieser Komplexität umgehen können. Beantworten sie diese Frage mit Ja, dann ist das Stück auf jeden Fall sehenswert – für sie selbst und für den Nachwuchs.

Das Dschungelbuch

Regie: Stephan Beer

Mit: Julia Berke, Jonas Fürstenau, Matthias Hummitzsch, Andreas Keller, Robin Krakowski, Dirk Lange, Markus Lerch, Lisa Mies, Denis Petković, Mathis Reinhardt, Annett Sawallisch, Sebastian Tessenow

Schauspiel Leipzig; Premiere: 15. Juni 2014


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