„What kind of world is this?“

Im Rahmen der Programmreihe Westwärts zeigt Mitte Agnés im Lindenfels Westflügel ihr neues Stück „Conversation avec un jeune homme“

Gare Centrale Conversation (Foto: Poehlein)

„Ein Dame auf einem Stuhl / Ein junger Mann im Wald / Eine Elster im Baume / Sonnenaufgang // (…) ein Reh zwischen den Bäumen / das Reh betrachtet den jungen Mann (…) // die Dame erhebt sich / der junge Mann tanzt // Die Dame im Wald / Der junge Mann auf dem Stuhl / Die Elster im Baume / Sonnenuntergang“: Ebenso vielfältig und facettenreich wie im Programmheft des Westflügel angekündigt, ist die neue Inszenierung Conversation avec un jene homme von Agnés Limbos, die sie im Rahmen der Programmreihe Westwärts in Leipzig zeigt.

Auf der einen Seite der Bühne sind ein paar Bonsai-Bäume und ein Stückchen Gras zu sehen, auf der anderen ein leicht nach vorn gekippter Tisch, auf dem eine Kerze steht. Dahinter Teegeschirr, ein Weinglas: Ein Vanitas-Stillleben, bei dem nur noch der Totenkopf fehlt. In der Mitte Agnés Limbos als „die Dame“ im roten Samtkleid aus längst vergangener Zeit. Sie hantiert mit einer Handpuppe, die verschiedene Bewohner des Waldes in sich birgt und sich sehr einfach und schnell in diese verwandeln lässt: Eine alte Frau, ein Wolf, ein Mädchen erzählen von ihrem Leben mit den Tieren aber auch von ihrer Einsamkeit. Willkommen im Märchenland.
Schön ist es mit anzusehen, mit welcher Klarheit und Präzision Agnés Limbos agiert und mit welcher Natürlichkeit ihr Spiel, ihr Ausdruck, ihre Mimik mit der vom Band eingespielten Klangwelt des Waldes ineinanderfließen. Da knackt und knurrt es, die Vögel zwitschern und Limbos agiert mit diesen Klängen, als seien sie mit ihr auf der Bühne. Etwas abrupt gestaltet sich dann der Übergang, wenn sie mit der Puppe in der Hand hinter einem Vorhang im hinteren Teil der Bühne verschwindet, und sich daraufhin Taylor Lecocq als „der junge Mann“ mit silbernem Haar nur für wenige Augenblicke tanzend durch den Bonsai-Wald bewegt. Ebenso abrupt verschwindet er wieder, die Dame sitzt nun am Tisch, das Teeservice wird ausgepackt und die Untiere des Waldes breiten sich um sie herum aus, kriechen aus der Kanne, überfallen ihren Körper, werden zu einem Teil von ihr. Ist sie selbst das Biest? Dann wieder der Jüngling, diesmal gottgleich mit Heiligenschein, betrachtet sich selbstverliebt im Spiegel.

Und so geht es dann weiter, Szene reiht sich an Szene, ohne dass da wirklich spannende Übergänge gefunden worden wären: Die beiden Figuren beobachten und beschnuppern sich, die Beziehung der beiden schwankt von mütterlicher Fürsorge zu erotischer Anziehungskraft. Dass oft wunderschön verzauberte und verzaubernde Momente und Bilder geschaffen werden, lässt sich nicht bestreiten: Der junge Mann tanzt zu PJ Harveys „Dear (oder Deer?) Darkness“ mit einem Hirschgeweih, das sich leider nur schwerlich als mehr denn als reines Phallus-Symbol lesen lässt. Sie sitzt auf dem Stuhl daneben, beobachtet, schmachtet. Und dann gibt es diesen kurzen Moment völliger Verschmolzenheit, wenn beide sich im Gleichklang – er stehend, sie sitzend – um die eigene Achse drehen – da geht es für einen kurzen Moment nur noch ums Menschsein.
Oder wenn er ganz ruhig eine Krähe vor seinem nackten Oberkörper in der Hand hält und innehält – eindrücklicher kann Zerrissenheit, Sehnsucht nach einem Zugang zu anderen Welten aber auch die Angst davor kaum dargestellt werden. Da zeigen sich plötzlich sehr menschliche Züge in diesem sonst sehr artifiziellen jungen Mann.

Dass solche Momente jedoch an Bedeutung verlieren und zu schnell verklingen, ist neben der Rastlosigkeit und dem fehlenden Mut zu Pausen unter anderem der symbolischen Überladung des Abends geschuldet: Anstatt sich auf wenige Requisiten zu konzentrieren, werden Mengen an symbolträchtigen Dingen wie Totenköpfe, Sägen, Vögel, Vögel als Regenschirme, Blumen, … ausgepackt und häufig nur zu kurz ins Spiel gebracht. Vielleicht macht aber auch gerade dies den Reiz des Abends aus: Die Unterschiedlichkeit der beiden Akteure – Limbos als Spielerin in ihrer Gestik und Mimik sehr menschlich und humorvoll, Lecocq als Tänzer bis auf wenige Ausnahmen zu reiner Künstlichkeit stilisiert – und zu viele Eindrücke, die uns fragen lassen „what kind of world this is“, in welcher Realität sind wir zu Hause und welchem Treiben schauen wir da gerade zu? Und die in wenigen Momenten der Verbundenheit doch die Gewissheit geben, dass es möglich ist, sich in all dieser Zerrissenheit und Überflutung zu Hause zu fühlen.

Conversation avec un jeune Homme

Conversations with a young man

Cie. Gare Centrale (BE)

Mit: Agnés Limbos, Taylor Lecocq

Choreographie: Lise Vachon

Ausstattung: Totzli Godinez de Dios und Francoise Colpé

Konzept: Agnés Limbos

Lindenfels Westflügel; 20. Juni 2014


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