Die Plapper-Poetin

Der Goldmann Verlag hat ein ganzes Bändchen mit Texten der Poetry-Slammerin Julia Engelmann herausgebracht. Warum nur?

Julia Engelmann (Foto: Freddy Radeke)

Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben: Anfang diesen Jahres geisterte ein Video viral durch die Netzwerke, in dem zu sehen war, wie eine junge, blonde Frau Anfang 20 bei einem Poetry-Slam in einem Hörsaal der Universität Bielefeld vor ein Mikro trat und mit wenig authentischer Nervosität einen selbst verfassten Text mit dem Titel „One Day/Reckoning Text“ vortrug. Das auf dem Youtube-Kanal des Campus TV Bielefeld zu findende Video von Julia Engelmann wurde bis heute über 6,5 Millionen mal angeklickt. Eine beachtliche Zahl vor allem in Hinblick auf die simplen Kalenderspruchweisheiten, die der Text vermittelt: ein fünf Minuten langes „Carpe diem“ auf „YOLO“ getrimmt; der ewige Aufruf, unsere Vorsätze wahr zu machen und den Tagen mehr Leben zu geben, gekleidet in die Worte, die man Jugendsprache nennt.

Wo der Hype so fleißig sein Unwesen treibt, sind auch die Konzerne nicht weit, um sich daran finanziell gütlich zu tun. So muss man sich wohl vorstellen – ohne hier von Tatsachen berichten zu können –, dass der Goldmann Verlag bei Julia Engelmann angeklopft und gefragt hat, ob denn noch mehr solch kurzer Textlein in Versform in der Schublade liegen. Mindestens vierzehn werden es wohl noch gewesen sein, die jetzt in Eines Tages, Baby gesammelt vorliegen.

Wer den Band vorurteilsfrei zu lesen versucht, der ist in erster Linie nicht mal so sehr von den ständigen Weisheiten und Besserwissereien der Autorin genervt. Es ist vielmehr die schier unfassbare Einfallslosigkeit, mit der die knapp 45 Minuten, die die Lektüre maximal dauert, vor sich hin plätschern. So wird dem Leser bestimmt vier bis fünf Mal das Wort „melankomisch“ um die Ohren gehauen, wenn Julia Engelmann die Worte ausgehen, um den schrecklich-schönen Weltschmerz in eine konkrete Begrifflichkeit zu verpacken. Mindestens genauso oft werden die fehlenden Stempelkissen beschrieben, die den eigenen Füßen dabei helfen sollen, einen Abdruck in der Welt zu hinterlassen (das ewige Dilemma von Engelmanns Generation: Man war nur wirklich da, wenn man es beweisen kann!).

Alles, was Julia Engelmann und ihr Verlag uns hier mit großer Publicity-Geste unter die Nase halten, kommt eigentlich aus der Rumpelkiste des kreativen Schreibens. Der Versuch, die Perspektive eines Goldfischs im Glas einzunehmen, oder ein Wunschbrief an den Weihnachtsmann von einer erwachsenen Frau, die gar nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubt: von der Innovation und Zeitzeugenschaft, die die Medien Julia Engelmann unterstellen wollen, ist das meilenweit entfernt.

Leider ist das Buch auch gestalterisch nahezu gänzlich missraten. Der pastellfarbene Umschlag sollte jeden geistig gesunden Menschen mit einem Gespür für Ästhetik als allererstes abschrecken. Noch viel weniger zu verschmerzen sind die Illustrationen der Texte, die die Autorin merklich dilletantisch selbst angefertigt hat. Diese 80 Seiten lange „Ich! Ich! Ich!“-brüllende Selbstauskunft bedarf in Anbetracht der mehr als simplen Botschaften nämlich keinerlei Veranschaulichung.

Julia Engelmann: Eines Tages, Baby

Goldmann Verlag

München 2014

96 Seiten – 7 Euro


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