Kein Name wie Musik

Semyon Bychkov dirigiert im Gewandhaus Franz Schmidts Sinfonie in Es-Dur − vor allem für die Streicher eine Herausforderung

Dirigent Semyon Bychkov (Foto: Chris Christodoulou)

Die erste persönliche Begegnung mit der Musik Franz Schmidts hatte ich im März 2002, als das MDR Sinfonieorchester unter Fabio Luisi im Gewandhaus die vierte Sinfonie aufführte. In der damaligen Besprechung beklagte ich die Ungerechtigkeit, dass solch hervorragende Musik heute nur noch „einigen wenigen Experten“ bekannt sei. Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Das mag mit am altmodisch klingenden Allerweltsnamen des Komponisten liegen, der zugegebenermaßen nicht gerade ein Feuerwerk an Inspiration verheißt, vor allem aber wohl am mangelnden Mut vieler Veranstalter, Musik jenseits des Altbewährten eine Chance zu geben.

Daher ist es umso erfreulicher, dass sich nun auch das Gewandhausorchester Franz Schmidts Sinfonik annimmt. Vorsichtshalber hat man dessen zweite Sinfonie mit Rachmaninows zweitem Klavierkonzert, einem Evergreen des Konzertrepertoires, kombiniert. Dass sich der Applaus des Publikums für beide Werke annähernd die Waage hält, spricht eindeutig dafür, dass sich der Mut ausgezahlt hat.

Schmidts zweite Sinfonie gilt als eines der technisch schwierigsten Werke der gesamten Sinfonik; vor allem die Streicher haben teils schier Unmenschliches zu leisten. Die heutige Aufführung zeigt, dass das Gewandhausorchester völlig zu Recht zu den besten Orchestern der Welt gezählt wird. Mit beeindruckender Selbstverständlichkeit meistern die Musikerinnen und Musiker selbst anspruchsvollste Passagen und vergessen dabei doch nie das große Ganze hinter der Technik. Letzteres ist nicht zuletzt Semyon Bychkov zu verdanken, der stets den Überblick behält und selbst im Getümmel des ersten Satzes nie den roten Faden aus den Augen verliert. Allenfalls die extremen Tutti-Passagen der Ecksätze geraten ihm klanglich mitunter etwas undifferenziert – wobei dies in gewissem Maß auch dem Komponisten anzulasten ist. Höhepunkt der Sinfonie ist der farbenreiche und originelle Variationensatz, der Scherzo und Trio mit umschließt – eine überzeugende Idee, die zugleich Schmidts Vorliebe für formale Experimente zeigt.

Der erste Teil des Konzerts fiel demgegenüber etwas ab. Kirill Gerstein beherrscht seinen Rachmaninow technisch jenseits jeden Zweifels, das Gewandhausorchester klingt schön wie immer – und doch fehlen der Aufführung jene Leidenschaftlichkeit und Melancholie, die so viele Werke des Komponisten auszeichnen. Schon die eröffnende Akkordfolge des Solisten wirkt etwas blass und lässt innere Spannung vermissen. Wenn es im Programmheft heißt „Eigentlich ist das nur eine triviale Kadenz, doch dröhnt sie wuchtig, ernst wie Schläge einer großen Glocke“, dann ist es in dieser Aufführung – überspitzt gesagt – bei der trivialen Kadenz geblieben. Für Wucht, Ernst und Unerbittlichkeit war schon das Tempo zu schnell gewählt. An diesem Befund ändert sich im weiteren Verlauf nur wenig. Von einem gelegentlichen Ungleichgewicht zwischen Gerstein und dem Orchester, das manchmal zu laut war, und einigen holprigen Übergängen im zweiten Satz abgesehen, gibt es zwar kaum wirklich etwas zu bemängeln, aber auch keinen Grund für Begeisterung. Es ist ein Rachmaninow auf emotionaler Sparflamme, dem man zwar nicht nachsagen kann, kitschig zu wirken, der aber dafür etwas blutleer wirkt. So wird am Ende ironischerweise der Komponist mit dem Allerweltsnamen zum inspirierteren Ereignis des Abends.

Großes Concert

Sergei Rachmaninow: 2. Konzert für Klavier und Orchester c-Moll op. 18

Franz Schmidt: 2. Sinfonie Es-Dur

Solist: Kirill Gerstein, Klavier

Dirigent: Semyon Bychkov

25. September 2014, Gewandhaus, Großer Saal


Die Aufführung vom Freitag im Gewandhaus kann noch bis 27. Dezember 2014 hier in der Arte-Mediathek angesehen werden.

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